96 Erster Teil Erstes Buch. $ 31.
unter ein förmliches Mitbestimmungsrechtb. Aus den Landständen
nahm man die Urteiler im fürstlichen Hofgericht, und nachdem
eg Regel geworden war, dieses mit gelehrten Beisitzern zu be-
setzen, blieb den Landständen in manchen Ländern® wenigstens
ein Präsentationsrecht für dasselbe. — Zum Schutz ihrer Befugnisse
besaßen die Stände ein Selbstversammlungs- und ein bewaffnetes
Widerstandsrecht.
Der landständische Einfluß erreichte im fünfzehnten Jahr-
hundert seinen Höhepunkt. Von da an begann er stetig zu sinken.
Durch den Ewigen Tandfrieden war den Ständen das Recht des
bewaffneten Widerstandes entzogen worden. Die Grundsätze des
römischen (S. 87) Rechtesd, die Ausbildung der stehenden Heere
und des landesherrlichen Beamtentums, die Durchführung der Re-
formatione® trugen dazu bei, den Einfluß des Landesherrn zu stärken.
Während die Landstände nur die Interessen der privilegierten
Klassen vertraten, ließ sich die landesherrliche Obrigkeit mehr
von den Gesichtspunkten des allgemeinen Wohles leiten und wußte
diese zu benutzen, um die Rechte der Stände zu untergraben.
Vor allem aber ging die landesherrliche Politik darauf hinaus, das
db Der Schwerpunkt des Wirkungskreises und der Macht der Landstände
lag aber überall nicht in ihrer gesetzgeberischen Kompetenz, sondern in
ihrer Finanzgewalt (Steuerbewilligungsrecht und eigene inanzverwaltung)
vgl. Fricker und v. Geßler a. a. O. 126; Ernst v. Meier a. a. O. 1 260.;
v. Below, Territ. u. Stadt 254 ff.; Bornhak, Preuß. Staats- u. R.Gesch. 64.
c Namentlich in den braunschweig-lüneburgischen Landen, also in Kur-
hannover. Vgl. E. v. Meier, Hannoversche V.-u. V.G. 1 294 ff. — Vgl. auch
J. J. Moser, Von der Landeshoheit in Justizsachen (1773) 81.
d Dieses Moment betonen besonders Arnold, Die Rezeption des Röm.
Rechts u. ihre Folgen (Studien zur deutschen Kulturgeschichte, 1832) 315 ff. ;
Laband, Über die Bedeutung der Rezeption des Röm, Rechts für das deutsche
Staatsrecht (1880) 30. Nicht so hoch schlägt v. Below, Territorium und
Stadt 54 ff. den Einfluß des römischen Rechts auf die Stärkung der landes-
herrlichen Gewalt an.
® Die Verstärkung, welche die weltliche Macht auf Kosten der kirch-
lichen durch die Reformation erfuhr, war nicht nur eine materielle, sofern
in den protestantischen Ländern die Kirchengewalt und der kirchliche
Wirkungskreis tatsächlich verstaatlicht (in den katholischen wenigstens eine
weitgehende Hoheit und Aufsicht des Staates über die Kirche errungen)
wurde und ferner durch umfassende Säkularisationen eine bedeutende Ver-
größerung des Staatsvermögens eintrat, sondern auch eine ideelle, indem die
rotestantische Glaubenslehre den Gedanken einer rechtlichen Ü[berordnung,
ja auch nur Gleichordnung der Kirche mit dem Staat fallen ließ, den Staat
als eine der Kirche ethise gleichwertige, rechtlich überlegene Macht dar-
stellt und solchergestalt auf jene dem Mittelalter fremde Erhöhung des
Staatsgedankens hinwirkt, welche in der evangelischen Auffassung des
Schriftwortes: „wo Obrigkeit ist, da ist sie von Gott geordnet“, deutlich zum
Ausdruck gelangt. Diese ideelle Erhöhung und jene materielle Macht-
verstärkung ist in Deutschland nicht dem Reiche, sondern den Ländern
(mittelbar auch den katholischen) und in diesen nicht den Ständen, sondern
dem Landesherrn zugute gekommen; die Reformation ist einer von den
Faktoren, welcher die Landeshoheit in ihrem erfolgreichen Kampfe gegen
äußere und innere Widerstände (Reichsgewalt, ständische Gewalten) mit am
wirksamsten unterstützt haben.