Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Die Zeit des Deutschen Bundes. $ 54. 147 
Könige, die richterliche dem Volke und die gesetzgebende einer 
Versammlung zu, welche sich zur Hälfte aus aristokratischen, zur 
Hälfte aus demokratischen Elementen zusammensetzt. Die gesetz- 
gebende Gewalt besitzt gegenüber der exekutiven kein Veto, kann 
sie also nicht hindern, etwas zu tun, wohl aber hat sie das Recht, 
dieselbe wegen ihrer Handlungen zur Verantwortung zu ziehen 
und ihr jährlich Truppen und Steuern zu bewilligen. Dagegen 
steht der Exekutivgewalt gegenüber der gesetzgebenden ein Veto 
zu, um zu verhindern, daß diese sich selbst alle Gewalt beilegt 
und so das Prinzip der Gewaltenteilung vernichtet. 
Diese Darstellung ist unzweifelhaft in wesentlichen Punkten 
unrichtig. Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtspflege sind Aus- 
düsse der Staatsgewalt, aber keine selbständigen Gewalten®, Sie 
stehen nicht gleichberechtigt nebeneinander, sondern die Gesetz- 
gebung ist den beiden andern übergeordnetb. Eine mechanische 
Verteilung der Funktionen unter die einzelnen Elemente des Staats- 
lebens hat in England niemals stattgefunden. Durch das System 
parlamentarischer Regierung, welches sich freilich, als Montesquieu 
schrieb, noch im Stadium der Ausbildung befand, ist dort sogar 
eine sehr einheitliche und konzentrierte Staatsgewalt entstanden. 
Das Parlament übt nicht nur bei der Gesetzgebung den entschei- 
denden Einfluß; aus seiner Mitte geht auch die höchste Exekutiv- 
behörde hervor. Wenn trotzdem der von Montesquieu gefürchtete 
Absolutismus in England nicht entstanden ist, so liegt das wesent- 
lich an dem ermäßigenden Einfluß, welchen die Selbstverwaltung 
und die Stellung der Gerichte ausübt, Faktoren, die Montesquieu 
bei seiner Schilderung der englischen Staatszustände vollständig 
übersehen hat. 
Montesquieus Darstellung gewann ungeheuren Einfluß auf 
dem ganzen europäischen Kontinente, welcher damals unter dem 
Druck unumschränkter Fürstenherrschaft stand. Aber mit seinen 
Ideen kreuzten sich andere, welche, fußend auf der Ansicht von 
der vertragsmäßigen Entstehung des Staates, den Grundsatz der 
Volkssouveränetät zum obersten politischen Prinzip erhoben und 
in Rousseaus Contrat social ihren prägnantesten Ausdruck fanden, 
Als daher in Frankreich die Macht des absoluten Königtums 
gebrochen war, suchte man in der neu zu errichtenden Verfassung 
zwar den Gedanken der Gewaltenteilung zum Ausdruck zu 
bringen, bestrebte sich jedoch gleichzeitig, dem demokratischen 
Elemente den überwiegenden Einfluß im Staatsleben einzuräumen. 
a Letzteres hat Montesquieu gar nicht behauptet. Vgl. oben $8 Anm. e. 
db Vgl. vorige N. . 
oc Vgl, oben $8 a. a. O. und die dort zit. Außerungen von Loening 
und OÖ, Mayer. 
8 Über die konstitutionellen Staatstheorien vgl. R. v. Mohl, Geschichte 
und Literatur des allgemeinen konstitutionellen Staatsrechtes. Geschichte 
und Literatur der Staatswissenschaften (Erlangen 1855) 1 267 ff.; Gierke 
a. a. O. 186 ff.; Bornhak, Die Entwicklung der konstitutionellen Theorie, in 
2.StaatsW,. 51 597 ff.; Anschütz, Enzykl. 40 ff. | 
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