Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Die Zeit des Deutschen Bundes, $ 55. 149 
die Julirevolution (1830) die Bourbonen vertrieben und die Orleans 
an ihre Stelle getreten waren. Doch wurde sie damals im demo- 
kratisch -parlamentarischen Sinne revidiert (und in dieser ab- 
geänderten Gestalt als charte constitutionelle vom 9. August 1830 e 
neu verkündigt). 
Nach dem. Sturze der Orleans (1848) folgten in kurzer Zeit 
eine neue republikanische Verfassung und (1852) das zweite Na- 
poleonische Kaiserreich. Letzteres, durch die Ereignisse des Jahres 
1870 zu Falle gebracht, hat seitdem wieder der republikanischen 
Staatsform Platz gemacht. 
Die französische Verfassungsentwicklung hat einen großen 
Einfluß auf die übrigen Staaten Europas ausgeübt. Namentlich 
sind die Verfassungen, welche die südeuropäischen Länder im 
Laufe dieses Jahrhunderts erhalten haben, fast durchgehends 
Nachbildungen französischer Muster gewesen. 
Eine besondere Erwähnung verdient die belgische Ver- 
fassung vom 25. Februar 1831°. Sie ist wesentlich ein Er- 
zeugnis der liberalen Doktrin, wie sie in der Zeit nach 1815 sich 
ausgebildet hatte, geht vom Prinzip der Volkssouveränetät und 
der Idee der Gewaltenteilung aus, läßt aber nichtsdestoweniger 
ein erbliches Königtum mit entscheidender Stimme (absolutem Veto) 
bei der Gesetzgebung bestehen, 
8 55. 
Die landständischen Verfassungen, welche in den deutschen 
Territorien! zur Reichszeit bestanden (oben $ 31), gaben nur 
einzelnen bevorrechtigten Ständen das Recht, bei der Ordnung 
der Landesangelegenheiten mitzuwirken. Sie waren während der 
Rheinbundszeit in vielen Territorien aufgehoben worden, während 
man sie in anderen hatte bestehen lassen. Die Konstitutionen, 
welche einzelne Rheinbundsstasten nach Napoleonischem Muster 
erhielten (oben $ 36 S. 109), entsprachen zwar keineswegs den An- 
forderungen des konstitutionellen Staatslebens, enthielten jedoch 
insofern einen ideellen Fortschritt, als sie zuerst dem Gedanken 
einer Repräsentation der gesamten Bevölkerung Ausdruck gaben. 
Inzwischen hatten die konstitutionellen Theorien auch auf Deutsch- 
land Einfluß gewonnen, und die Herstellung von Volksvertretungen 
mit entsprechenden Befugnissen war seit 1815 eine der dringend- 
e Helie, Les constitutions de la France (1880) 988 ff, 
» Pölitz a. a. O. 237 ff.; Dareste, Constitutions modernes 1 57fl. Vgl. 
Jellinek a. a. ©. 529£.; v. Seydel, Staaterechtl. u. polit. Abh,, N. F, (1902) 59 £f.; 
Errera im J.ÖfE.R. 1 364 ff. (mit einem Abdruck der belgischen Verfassung 
in ihrer jetzt geltenden Gestalt); J. J. Thonissen,. La constitution belge 
annot£e (3. ed. 1879). 
1 Über die Verfassungsentwicklung der deutschen Staaten in diesem 
Jahrhundert vgl. H. v. Treitschke, Deutsche Geschichte im neunzehnten 
Jahrhundert, Bd. 2—5, Leipzig 1892—94. Über die älteren Verhältnisse 
vgl. oben $ 31.
	        
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