Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

150 Erster Teil. Drittes Buch. $ 55. 
sten Forderungen des deutschen Volkes geworden. Die Erfüllung 
derselben schloß notwendig eine Aufhebung der alten Landstände, 
wo sie noch bestanden, in sich. Wenn man daher die Rechts- 
kontinuität wahren wollte, so mußte man die neue Verfassung 
durch Vereinbarung mit ihnen zustande bringen, und dies ist in 
der Tat in einer Reihe von deutschen Staaten, z. B. im Königreich 
Sachsen, geschehen. Außerdem übten die alten landständischen 
Einrichtungen namentlich insofern einen Einfluß auf die neuen 
Verfassungsbildungen aus, als man bei der Zusammensetzung der 
Volksvertretung mit Vorliebe an die ständische Gliederung an- 
knüpfte. Man räumte nur dem bisher nirgends vertreten gewesenen 
Bauernstande ebenfalls eine Repräsentation ein, während die Pr&- 
laten größtenteils in Wegfall gekommen waren. So setzte sich die 
Volksvertretung in der Regel aus Vertretern des ritterschaftlichen 
Adels, der Städte und der Bauern zusammen. 
Die Frage der Herstellung konstitutioneller Verfassungen war 
am Wiener Kongreß Gegenstand eingehender Verhandlungen. 
In den ursprünglichen Entwürfen der Bundesverfassung?, sowohl 
dem von Preußen vorgelegten als dem zwischen Preußen und 
Österreich vereinbarten und dem deutschen Komitee unterbreiteten, 
waren Bestimmungen darüber in Aussicht genommen. Durch diese 
sollte den Einzelstaaten die Pflicht zur Einführung konstitutioneller 
Verfassungen auferlegt und ein Minimum ständischer Rechte zu- 
gesichert werden. Bayern und Württemberg erhoben auch hier- 
gegen Widerspruch. Der am 23. Mai 1815 von den österreichi- 
schen Bevollmächtigten im Einverständnis mit Preußen vorgelegte 
Entwurf begnügte sich, zu sagen: „In allen Bundesstaaten soll 
eine landständische Verfassung stattfinden.“ Aber selbst diese 
Fassung erfuhr in den Konferenzen noch eine weitere Ab- 
schwächung, indem Artikel 13 der Bundesakte das Wort „soll“ 
durch das Wort „wird“ ersetzte. 
Schon wenige Jahre nach Gründung des Bundes gewann die 
reaktionäre Strömung in Deutschland die Oberhand. Die Bundes- 
versammlung nahm der konstitutionellen Entwicklung gegenüber 
eine geradezu feindliche Stellung ein. Diese zeigte sich in den 
von der Bundesversammlung angenommenen Karlsbader Beschlüssen 
vom 20. September 1819® und in den Bestimmungen der W.S.A.t. 
Letztere forderte, daß die gesamte Staatsgewalt in dem Fürsten 
vereinigt bleibe, eine Bestimmung, welche gegen das Montesquieusche 
Prinzip der Gewaltenteilung und die diesem angedichteten anti- 
monarchischen Tendenzen gerichtet war. Sie bestimmte, daß die 
Bundesstaaten durch landständische Verfassungen in der Erfüllung 
ihrer bundesmäßigen Verpflichtungen nicht gehindert oder be- 
schränkt werden dürften. Sie legte den Regierunngen die Ver- 
32 Vgl.8 338.115 N. 10 und dazu Lehmann, Freiherr vom Stein 8 3985 ft., 
394 ft., 406 ff.; Anschütz, Komm. 7 ff. 
® (x. v. Meyer, Corp. jur. Confoed. Germ. 2 89 ff. 
W.S. A. Art. 57—59.
	        
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