Die Zeit des Deutschen Bundes. 8 55. 151
pflichtung auf, da, wo die Öffentlichkeit landständischer Verhand-
ungen anerkannt war, dafür Sorge zu tragen, daß die Grenzen
der freien Äußerung nicht auf eine die Ruhe des einzelnen Bundes-
staates oder des gesamten Deutschland gefüährdende Weise über-
schritten würden.
Zuerst, und zwar noch im zweiten Jahrzehnt des neunzehnten
Jahrhunderts, erhielten einige Kleinstaaten (Nassau 1814, Sachsen-
Weimar 1816, Sachsen-Hildburghausen 1818) und, was von viel
weittragenderer Bedeutung war, die süddeutschen Mittelstaaten
Bayern, Württemberg und Baden Verfassungen. Auf
diese hat die französische Charte vom 4. Juni 1814 einen un-
verkennbaren Einfluß ausgeübt. Der Monarch wurde als alleiniger
Träger der Staatsgewalt anerkannt und den Landständen nur das
Recht der Mitwirkung bei Ausübung gewisser Befugnisse zu-
gesprochen.
In Norddeutschland erhielt die konstitutionelle Bewegung
erst durch die französische Julirevolution (1830) einen Anstoß.
Im Beginne der dreißiger Jahre wurden zunächst in den nord-
deutschen Mittelstaaten (Hannover, Sachsen, Kurhessen, Braun-
schweig) konstitutionelle Verfassungen eingeführt. Auch diese
standen wesentlich auf dem Standpunkte der französischen Charte.
Sie hielten streng an dem Prinzip fest, daß die gesamte Staats-
gewalt in der Person des Monarchen vereinigt sei, und waren
aher mit den in der W,S.A. ausgesprochenen Grundsätzen voll-
kommen vereinbar. Dagegen blieb die liberale Theorie der
damaligen Zeit, welche sowohl in der Literatur® als in den prak-
tisch-politischen Bewegungen des Volkes und in den Kammer-
verhandlungen der einzelnen Staaten ihren Ausdruck fand, meist
auf dem Standpunkte der Volkssouveränetät und der Gewalten-
teilung stehen. Der Bund sah sich daher veranlaßt, die Grund-
sätze der W.S.A. durch Bundesbeschlüsse vom 16. August 1824,
28. Juni 1832 und 28. April 1836? wiederholt einzuschärfen.
Diejenigen Staaten, welche noch keine Verfassungen besaßen,
erhielten dieselben zum größten Teil infolge der Ereignisse des
Jahres 1848. Auch Preußen trat jetzt in die Reihe der kon-
stitutionellen Staaten ein, und damit war der Boden für die Ent-
6 yel die Zitate zu 854 N.d. Diesen Einfluß betont Jellinek, Staatal.
483 ff., ff. und noch stärker Oeschey, Die bayerische Verfassungsurkunde
usw. (s. oben $ 54 Anm. d), bes. 148fl., wogegen Meisner, Die Lehre vom
monarchischen Prinzip im Zeitalter der Restauration und des Deutschen
Bundes (1913) 215 ff. ihn geringer wertet und namentlich meint, daß die den
deutschen Verfassungen zugrunde liegende Auffassung der Stellung des
Monarchen im Staat (das „monarchische Prinzip“) nicht aus Frankreich
importiert, sondern in Deutschland entstanden und selbständig ausgebildet
sei. Vgl. auch Jellinek, Staatsl. 485 Anm.
% Der Hauptvertreter derselben war Karl v. Rotteck. Vgl. sein Lehr-
buch des Vernunftrechtes und der Staatswissenschaften, 4 Bde., Stuttgart
7 G. v. Meyer a. a, O. 157, 240 u. 328,