Die Gründung des Deutschen Reiches. $ 59. 173
Zum festgesetzten Termine fand die Eröffnung der
Nationalversammlung statt!‘ Am 27. Mai erklärte die-
selbe, daß alle Bestimmungen einzelner deutscher Verfassungen,
welche mit dem zu gründenden allgemeinen Verfassungswerke nicht
übereinstimmten, nur nach Maßgabe des letzteren als gültig zu
betrachten seien’, Am 27. und 28. Juni wurde die Herstellung
einer provisorischen Zentralgewalt beschlossen, welche
durch einen Reichsverweser repräsentiert werden sollte??, am
folgenden Tage wählte die Nationalversammlung als solchen den
Erzherzog Johann von Österreich %. Diesem übertrug die Bundes-
versammlung am 12. Juli im Namen der deutschen Regierungen
ihre verfassungsmäßigen Befugnisse und löste sich damit auf!t,
Die Nationalversammlung wählte zunächst einen Verfassungs-
ausschuß°, welcher die Beschlüsse des Plenums vorbereiten sollte.
Die Beratungen des letzteren begannen mit den Grundrechten
des deutschen Volkesd, welche am 21. Dezember 1848 an-
wie der Bundestag wollte, mit den Regierungen der Bundesstaaten zu verein-
baren, sondern einseitig aus sich selbst heraus zu beschließen haben werde.
Dem Parlament wurde also der Charakter einer konstituierenden Versamm-
lung vindiziert.
10 Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen
konstituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt a. M. und Stuttgart,
herausgeg. v. F. Wigard, 9 Bde., Frankfurt a. M. 1848—50; Haym, Die:
dentsche Nationalversammlung, 3 Abt., Berlin 1849 —50; Häußer, Art.
Deutsche Nationalversammlung“, Staatswörterbuch 7 161ff.; v. Sybel a.a.O..
169 .; W. Vogel, Studien zur Geschichte des Frankfurter Parlaments bis
zum März 1849, Würzburg 1881; Binding, Der Versuch der Reichsgründung
durch. die Paulskirche (Akadem. Rede), Leipzig 1892: Otto Mayer im
Arch.Off.R. 18 359 ff. — Die von der Nationalversammlung beschlossenen
Gesetze sind in einem Reichsgesetzblatt publiziert worden.
ıı Sten. Ber. 155. — [Ihre rechtliche Natur und Stellung faßte die
Nationalversammlung ganz so auf, wie das Vorparlament (vgl. Anm. b) sie:
vorgezeichnet hatte; sie hielt sich für die Constituante Deutschlands, Klar
kam diese Auffassung zum Ausdruck in der Eröffnungsansprache des Präsi-
denten Heinrich v. Gagern (bei v. Sybel a. a. 0. 173): „Wir sollen schaffen“,
sagte Gagern, „eine Verfassung für Deutschland, für das gesamte Reich..
Der Beruf und die Vollmacht zu dieser Schaffung, sie liegen in der
Souveränetät der Nation... Die Schwierigkeit, eine Verständigung
mit den Regierungen zustande zu bringen, hat das Vorparlament richtig
vorgefühlt und uns den Charakter einer konstituierenden Versammlung
vindiziert.“]
182 Sten. Ber. 568, R.G.B. 3ff.
18 Sten. Ber. 627 fi.
14 Protokoll vom 12, Juli 1848 (G. v. Meyer a. a. O. 512 ff.).
c „Stark in jedem Sinne“ war, wie Binding, Paulskirche 21 Anm. 1
mit Recht bemerkt, in diesem Verfassungsausschuß das Professorentum ver-
treten: F. C. Dahlmann, Johann Gustav Droysen, Georg Beseler, R. v. Mohl,,
Georg Waitz, Karl Welcker.
d Diese Grundrechte waren, wenngleich zunächst als Sondergesetz ge-
geben und publiziert, von vornherein dazu bestimmt, in die Reichsverfassung
als ein integrierendes Stück derselben aufgenommen zu werden. Das Frank-
furter Parlament folgte hierin einem schon vor 1848 gemeingültigen kon-
stitutionellen Brauch, welcher (aufgekommen in Amerika, von dort auf das
revolutionäre und nachrevolutionäre Frankreich und weiterhin auf viele