Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Die Gründung des Deutschen Reiches. $ 60. 179 
dem Boden der bestehenden Bundesverfassung vollziehen wollten. 
Erstere Richtung wurde durch den Deutschen National- 
verein, letztere durch den großdeutschen Reformverein 
repräsentiert. j 
Die Regierungen sahen sich ebenfalls genötigt, zu der 
Reformfrage Stellung zu nehmen. Auch hier zeigte sich eine 
ähnliche Verschiedenheit. Das Ziel der preußischen Politik war 
die Herstellung eines engeren Bündnisses mit preußischer Spitze, 
während Österreich und die Mittelstaaten im höchsten Falle eine 
Revision der bestehenden Bundesverfassung mit Errichtung eines 
aus Vertretern verschiedener Staaten zusammengesetzten Direk- 
toriums zugestehen wollten. 
Am 15. Oktober 1861 teilte die königlich sächsische 
Regierung, welche schon im Jahre 1856 Anregungen zu einer 
Reform der Bundesverfassung gegeben hatte, den übrigen deutschen 
Regierungen einen Reformplan mit*. Nach demselben sollte die 
alte Bundesversammlung in der bisherigen Gestaltung des Engeren 
Rates bestehen bleiben, aber nur zweimal im Jahr, abwechselnd 
in Regensburg und Hamburg, auf höchstens je vier Wochen zu- 
sammentreten. Im Präsidium sollten Österreich und Preußen alter- 
nieren. Neben der Bundesversammlung war eine Abgeordneten- 
versammlung in Aussicht genommen, die aus Repräsentanten der 
einzelnen deutschen Landesvertretungen bestehen und bei der ge- 
meinsamen Gesetzgebung eine entscheidende Stimme besitzen sollte. 
Für die Zwischenzeit zwischen zwei Bundestagen sollte eine Exe- 
kutivgewalt eingesetzt werden, welche sich aus dem Kaiser von 
sterreich, dem König von Preußen und einem dritten durch 
Wahl oder Turnus zu bestellenden Bundesfürsten zusammensetzte. 
Im Sommer 1862 fanden in Wien zwischen Österreich und 
den Mittelstaaten weitere Verhandlungen über die Bundesreform 
statt. Die preußische Regierung lehnte es ab, sich an denselben 
zu beteiligen. Inzwischen hatte der Bundestag am 6. Februar 
1862 den Beschluß gefaßt 5, eine Kommission zur Ausarbeitung 
einer deutschen Zivilprozeßordnung niederzusetzen und die Ab- 
fassung eines deutschen Obligationenrechtes in Aussicht zu nehmen. 
Im Anschluß daran stellten am 14. August 1862 Österreich, Bayern, 
Sachsen, Hannover, Württemberg, beide Hessen und Nassau unter 
dem Widerspruch Preußens den Antrag, durch einen Ausschuß 
Bericht über die Berufung einer Delegiertenversammlung der 
einzelnen deutschen Ständekammern erstatten zu lassen, der die 
fraglichen Gesetzentwürfe vorgelegt werden sollten®. Der Antrag 
wurde jedoch in der Bundestagssitzung vom 22. Januar 1863 ab- 
gelehnt'. 
* Staatsarchiv von Aegidi und Klauhold 1 Nr. 164, die dazu ge- 
hörigen Denkschriften ebenda 2 Nr. 175 u. 176. 
® G. v. Meyer a. a. 0. 8 265 fl. 
6 G. v. Meyer a. a. O. 294 ff. 
7 G. v. Meyer a. a. O. 319 ff. 
12*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.