Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

180 Erster Teil. Viertes Buch. $ 60. 
Im August 1863 trat auf Einladung des Kaisers von Öster- 
reich in Frankfurt a. M. ein Fürstentag zum Zweck der 
Beratung der Bundesreform zusammen, an welchem sich alle 
deutschen Fürsten, mit Ausnahme des Königs von Preußen, des 
Königs von Dänemark, der Fürsten von Lippe und Reuß 4. L. 
und des Landgrafen von Hessen-Homburg beteiligten®. Sie waren 
meist in Person, zum Teil durch Vertreter erschienen. Auch 
Bevollmächtigte der Freien Städte nahmen an den Verhandlungen 
teil®. Die dort zustandegekommene Reformakte!? erweiterte 
die Bundeszwecke und versuchte eine Neubildung der Bundes- 
organe. An der Spitze des Bundes sollte als Exekutivbehörde ein 
Direktorium stehen, in welchem der Kaiser von Österreich, der 
König von Preußen, der König von Bayern und drei andere, teils. 
durch Wahl, teils durch Turnus bestimmte Bundesfürsten vertreten 
waren. Als zweites Organ des Bundes war ein Bundesrat mit. 
21 Stimmen in Aussicht genommen. Je drei dieser Stimmen sollten. 
Preußen und Österreich zustehen, die übrigen 15 den bisherigen 
Stimmen des Engeren Rates entsprechen. Den Vorsitz im Direk- 
torium und Bundesrat sollte Österreich führen. Zur beratenden 
Mitwirkung bei der Gesetzgebung sollte eine Abgeordneten- 
versammlung berufen werden, welche durch Delegation aus den 
Vertretungskörpern der einzelnen deutschen Staaten hervorging. 
Eine Fürstenversammlung sollte periodisch zusammentreten und 
über Aufnahme neuer Mitglieder in den Bund sowie über die 
Anderung des Stimmverhältnisses entscheiden. Weitere Bestim- 
mungen bezogen sich auf das zu errichtende Bundesgericht. 
Preußen lehnte den Beitritt zu diesem Reformprojekt ab. Es. 
machte seine Zustimmung zu einer Bundesreform von drei Be- 
dingungen abhängig: 1. ein Veto Österreichs und Preußens gegen 
jeden Bundeskrieg, der nicht zur Abwehr eines Angriffes auf 
Bundesgebiet unternommen werde, 2. die volle Gleichberechtigung 
Preußens mit Österreich zum Vorsitz und zur Leitung der Bundes- 
angelegenheiten, 3. könne Preußen in eine Erweiterung der 
Bundeszwecke und damit in eine Beschränkung seiner Unabhängig- 
keit nur dann willigen, wenn ihm eine Garantie geboten würde, 
daß dieses Opfer den Gesamtinteressen der deutschen Nation und 
nicht anderen Partikularinteressen zugute komme: eine solche: 
Garantie erkenne aber Preußen nur in einem aus direkten Volks- 
wahlen hervorgegangenen Parlament, während die vorgeschlagene 
_ Delegiertenversammlung gerade im Gegenteil eine Vertretung des 
Sondertums darstellen würde!!, Da Österreich trotzdem an dem 
98 a Sybel a. a. O. 2 520 ff.; Bismarck, Gedanken und Erinnerungen 
3 331 fl. 
® Die darauf bezüglichen Aktenstücke im Staatsarchiv 8 Nr. 1753. 
10 Staatsarchiv a. a. O. Nr. 1760; v. Sybel a. a. O. 2 522 ff., 535. 
11 Antwortschreiben des Königs vom 22. September 1863 (Staats- 
archiv a. a. O. Nr. 1768). — Die Motive sind entwiekelt in dem Berichte 
des Staatsministeriums an den König vom 15. September 1863 (Staats- 
archiv a. a. O. Nr. 1767); vgl. v. Sybel a. a. 0. 2 538 ff.
	        
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