Die Gründung des Deutschen Reiches. $ 64. 191
raten. Sie hielten eine Reihe von vertraulichen Besprechungen
und drei förmliche Sitzungen ab, in welchen die Verfassungs-
‚direktor, späteren Präsidenten des Reichskanzleramts Delbrück verfaßt:
Delbrück a. a. O. 379, v. Keudell a. a. O. 348, Triepel a. a. O. 596 ff). In
der Zeit von Mitte Oktober bis Ende November 1866 leitete und beeinflußte
‚Bismarck diese Verfassungsarbeiten durch Briefe, die er aus Putbus an
R. v. Keudell schrieb bzw. schreiben ließ und die zur Weitergabe an die
Beteiligten, insbesondere an v. Savigny (den letzten preußischen Bundestags-
‚gesandten) bestimmt waren (v. Keudell a. a. 0. 317—342). Auf Grund dieser
eisungen Bismarcks und der erwähnten Vorarbeiten der Fachministerien
hat dann Savigny einen neuen Verfassungsentwurf zusammengestellt (Triepel
604 ff.), der aber Bismarcks Beifall ebensowenig fand wie die Entwürfe von
Duncker, Hepke und Bucher. Ober ihn, wie die letzteren, „zu zentralistisch-
bundesstaatlich für den dereinstigen Beitritt der Süddeutschen“ (vgl. v. Keudell
326, 327) oder umgekehrt allzu staatenbündisch-föderalistisch fand (wie Triepel
«608 ff. vermutet) läßt sich, da bisher niemand die Arbeit Savignys zu Gesicht
bekommen hat, nicht feststellen. Wahrscheinlich hat aber diese Arbeit bei
der nun folgenden Schlußredaktion des Verfassungsentwurfs, deren wesent-
lichsten Akt nun allerdings jenes vielbesprochene (Trie el 591 ff.) Diktat
Bismarcks an L. Bucher vom 13. Dezember bildete, als Grundlage gedient.
Der solchergestalt fertiggestellte Entwurf erhielt am 14. Dezember die Ge-
nehmigung des preuß, Staatsministeriums und des Königs: am 15. wurde er
den Bevollmächtigten der verbündeten Regierungen als Vorlage der preuß.
‚Staatsregierung unterbreitet. —
Von den oben erwähnten Vorentwürfen ist nur der Dunckersche be-
kannt. Er ist von Triepel a. a. O. 631 ff. publiziert; eingehende Besprechung
und Würdigung das. 615 fl.
° Der preuß. Entwurf vom 15. Dezember 1866 war, wie das August-
‚bündnis (s. oben S. 187) dies vorgeschrieben hatte, im allgemeinen aur der
Basis der Grundzüge vom 10. Juni (oben S. 183) aufgebaut. Insbesondere
läßt er die Bundesgesetzgebung auf den ihr zugewiesenen Gebieten ausüben
durch übereinstimmende Mehrheitsbeschlüsse des Bundesrats (wie die in
den Grundzügen noch „Bundestag“ genannte ständige Delegiertenkonferenz
der Staatenregierungen nunmehr heißen sollte) und des Reichstags (so
nennt der Entwurf, im Anschluß an die Frankfurter R.V. von 1849, die
Nationalvertretung“ der Grundzüge). Er unterscheidet sich aber von den
-Grundzügen durch die Einführung und starke Ausbildung der preußischen
Hegemonie.,
Eine Vorrangstellung Preußens war durch die tatsächlichen Macht-
verhältnisse gegeben, ja geboten. Preußens Schwert und Staatskunst hatten
‚den Bund geschaffen. Von der Bevölkerung des Bundesgebietes — 30 Mil-
lionen — gehörten über 24 Millionen, also mehr als vier Fünftel zu Preußen;
das Restfünftel verteilte sich unter 21 Staaten, deren größter, das Königreich
:Sachsen, nur eben ein Zehntel der preußischen Volkszahl aufwies. Diesem
bergewicht entsprechend waren dem führenden Staate weitgehende Prä-
rogativen übertragen. Im Bundesrate hatte Preußen nicht mehr nur wie
einst im Frankfurter Plenum 4 Stimmen unter 70, sondern 17 unter 498, so
daß es nur wenige Kleinstaaten zu gewinnen brauchte, um über die Mehrheit
.zu verfügen. Ihm stand ferner in diesem Kollegium der Vorsitz und die
‚Geschäftsleitung zu. Außerhalb des Bundesrates aber waren dem preußischen
‚Staate zu Händen seines Königs umfassende Kompetenzen administrativer
und exekutiver Natur zugewiesen: der König von Preußen als „Bundes-
räsidium“ hat den Bund völkerrechtlich zu vertreten, also die auswärtige
Politik Norddeutschlands zu machen, die Bundesgesetze auszufertigen und
zu verkündigen, die Post und Telegraphie im ganzen Bundesgebiete zu ver-
walten. Der König von Preußen als „Bundesoberfeldherr“ führt den
-Oberbefehl über alle Truppen der Bundesstaaten im Kriege wie im Frieden.
Dem Könige von Preußen als solchem steht die Organisations- und Kommando-