Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

196 Erster Teil. Viertes Buch. $ 64. 
Abänderung war die übereinstimmende Willenserklärung der Staaten 
bzw. ihrer Regierungen weder erforderlich noch ausreichend, viel- 
mehr der von ihr vorgeschriebene (Art. 78) Weg der Bundes- 
gesetzgebung der allein zulässige Weg®.] 
Die obersten Organe des Norddeutschen Bundes waren: der 
Bundesrat, welcher die Bevollmächtigten der Regierungen, der 
Reichstag, welcher die Vertreter der Bevölkerung enthielt, und die 
Krone Preußen, welche unter der Bezeichnung „Bundespräsidium*® 
und „Bundesfeldherr“ eine Reihe von Regierungs- und Verwaltungs- 
befugnissen des Bundes ausübte. 
Der Norddeutsche Bund war nicht Rechtsnachfolger 
des Deutschen Bundes. Die Rechte und Pflichten des 
letzteren gingen daher, soweit eine Sukzession überhaupt möglich 
war, wie z. B. hinsichtlich der Eigentumsrechte an dem Material 
der Bundesfestungen, auf die einzelnen Staaten über. 
[Zusatz. Die Frage über die Entstehung der Verfassung des Nord- 
deutschen Bundes und den Rechtsgrund ihrer Verbindlichkeit ist sehr be- 
stritten (Referate über die obwaltenden Meinungsverschiedenheiten und aus- 
führliche Literaturangaben bei Pohl, Die Entstehung des belgischen Staates 
und des Norddeutschen Bundes [1905] 42 ff.; Grosch im Arch.Oft.R. 29 126 ff.). 
Die von der hier vertretenen abweichenden Meinungen sind folgende: 
1. Die Theorie Haenels. Nach Haenel (vgl. dessen Studien zum 
deutschen Staatsr. 1 68#f. und Deutsches Staatsrecht 1 14ff.) hatten die 
verbündeten Regierungen durch das Augustbündnis die Verpflichtung zur 
Gründung des Norddeutschen Bundes übernommen. Die Verfassung dieses 
Bundes sollte unter den Regierungen und mit dem Reichstage vereinbart 
werden. Die vorgesehene Vereinbarung fand später auch wirklich statt, und 
die vereinbarte Verfassung wurde dadurch Bestandteil des Vertrages. Nun- 
mehr war zur Erreichung des Zieles noch ein doppeltes erforderlich: Zu- 
nächst die Umwandlung des partikularen Staatsrechtes, d. h. die Außer- 
kraftsetzung derjenigen Verfassungsbestimmungen und Landesgesetze, welche 
dem Entstehen des Norddeutschen Bundes und seiner Verfassung im Wege 
standen. Diese erfolgte durch die mit Zustimmung der Landtage bzw. 
Bürgerschaften erlassenen Publikationsgesetze und Publikationspatente der 
Einzelstaaten. Bis dahin besteht zwischen der hier vertretenen Auffassung 
und der Haenelschen in wesentlichen Punkten Übereinstimmungr. Dann 
aber, meint Haenel, sei noch etwas weiteres notwendig gewesen, die Kon- 
stituierung des Bundes selbst (Staatsr. 1 31fl... Die zu Organen des Bundes 
berufenen Personen mußten sich als solche aufwerfen; die Bundesverfassung 
mußte aus einer Yertragebestimmung über die Verfassung für den zu be- 
gründenden Bund zur Verfassung des Bundes erhoben, dem Bunde als 
solchem angeeignet werden. Diese Konstituierung des Norddeutschen Bundes 
° So auch — trotz der abweichenden Prämisse — G. Meyer in der 
Voraufl. (6. A. 176). 
p Mit der Maßgabe, daß der Haenelschen Auffassung der Publikations- 
patente nicht zugestimmt werden kann. Nach Haenel haben diese Patente 
eine rein negative Bedeutung: sie sollen lediglich das Partikularrecht be- 
seitigt haben, soweit es mit der Bundesverfassung im Widerspruch stand. 
Das ist unrichtig. Die Publ.-Patente haben dem Bunde nicht bloß den 
Boden bereitet, sie haben ihn positiv erschaffen (richtig Laband, St.R. 
1 27 ff, 30). Die durch diese Schöpfung bedingte Anderung des Partikular- 
staatsrechts trat nicht durch die Patente, sondern durch die Bundesverfassung 
gemäß ihrem Art. 2 ein.
	        
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