Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

198 Erster Teil. Viertes Buch. $ 64. 
gessen4, Die Landtage hätten nur ihre eigene Stellung zum Verfassungs- 
werke, die verbindliche Kraft des letzteren, aber nicht die Stellung des 
Reichstages ändern können. Die Reichsverfassung sei ein gemeinrechtliches 
Gesetz, das auf einer Vereinbarung der zur Verfassungsgebung berechtigten 
Subjekte, nämlich der verbündeten Regierungen und des Reichstages, be- 
rube (8. 71). Es ist zuzugeben, daß ein derartiges Verfahren möglich ge- 
wesen wärer, aber es hat tatsächlich nicht stattgefunden. Indem die Land- 
tage ihre Stellung zum Verfassungswerke änderten, änderten sie auch die 
des Reichstages. Dieser hatte nicht den Charakter einer verfassung- 
vereinbarenden Versammlung; die Vereinbarung zwischen ihm und den 
Regierungen genügte also nicht, um der Verfassung verbindliche Kraft zw 
verleihen. Regierungen und Reichstag waren nicht gesetzgebende Faktoren, 
aus ihrer Beschlußfassung konnte daher auch ein gemeinrechtliches Gesetz 
nicht hervorgehen. Mit dem Eingang der Bundesverfassung findet sich 
Binding dadurch ab, daß er ihn für unklar und widerspruchsvoll erklärt 
(S. 40). Vgl. ‚gegen Binding Haenel, Staatsr. 1 19 ff.; Laband, Kl. A. 4, 
Staatsr. 1 24 N. 2; Anschütz, Enzykl. 57; Grosch, Arch.Öf.R. 29 126 ff.s. 
9. Mit der Bindingschen Auffassung berührt sich die von Richard 
Hudson, The north German confederation in The political science warterly, 
Vol. VI 8.424 ff. [von Laband, Staatsr. 124 N.2 zu den Gegnern Bindings 
gerechnet], Dieser Schriftsteller nimmt an, daß durch das Augustbündnis. 
nationale Organe für die Feststellung der Verfassung geschaffen wären 
(S. 429) und daß die Verfassung selbst ein Werk der Natıon sei (S. 434 ff.). 
Diese Anschauung entspricht aber den tatsächlichen Verhältnissen nicht, 
Bei der Feststellung der Verfassung sind die Regierungen nicht als nationale 
Organe, sondern als Vertreter ihrer Staaten tätig gewesen, und die Verein- 
barungen unter ilınen haben durchaus den Charakter vertragsmäßiger Fest- 
setzungen bewahrt. Der verfassungberatende Reichs würde allerdings 
als ein nationales Organ angesehen werden können [und ist dies im poli- 
tischen Sinne ganz sicherlich gewesen]; er hatte aber bei der Feststellung 
der Verfassung keine entscheidende Stimme. Überhaupt enthält die Ab- 
handlung mehr eine Erörterung über die bei Gründung des Norddeutschen 
Bundes politisch wirksamen Faktoren, als eine Darstellung der rechtlich 
entscheidenden Momente. Sie ist außerdem stark von der amerikanischen 
Anschauung beeinflußt, nach welcher die Verfassung der Vereinigten Staaten 
4 Dies ist richtig; vgl. Art. 5 Satz 2 des Augustbündnisses (... „zur 
Beratung und Vereinbarung“) An eine Superrevision der Verfassung 
durch die Landtage und ein Veto der letzteren nach erfolgter Einigung 
zwischen Regierungen und Reichstag war ursprünglich nicht gedacht, 
r Es war sogar ursprünglich beabsichtigt gewesen; s. d. vor. Anm. — 
Ganz unrichtig ist es, wenn Zorn, Staatsr. 1 23ff. behauptet, das August. 
bündnis habe selbst mit Zustimmung aller Landtage dem Reichstage eine 
verfassungvereinbarende Stellung gar nicht einräumen können. Warum 
soll es das nicht gekonnt haben? Regierung und Volksvertretung können, 
wenn sie einig sind, im konstitutionellen Staate alles, was tatsächlich möglich 
ist, Mit Zustimmung der Landtage (diese war allerdings nötig, da es sich 
um fundamentale Änderungen des Landesstaatsrechts handelte) hätten die 
Regierungen dem Reichstage nicht nur eine verfassungvereinbarende, 
sondern selbst eine vollkommen souveräne, konstituierende Stellung ein- 
räumen können — eine Stellung, wie sie 1848/49 eine Zeitlang faktisch der 
Zrankfürter Paulskirche konzediert worden war. Gegen Zorn: Laband 1 19 
om. 1. 
s Mit Binding anscheinend einig O. Mayer, Sächs. St.R. 10: am 17. April 
1867 haben die verbündeten Regierungen dem Reichstage zugestimmt; „da- 
mit war der Norddeutsche Bund gegründet“. Aber in Anm. 2 auf derselben 
Seite heißt es dann wieder, die (sächsische) Regierung habe sich von ihrem 
Landtage „die erforderliche Ermächtigung geben lassen, den Bund... ins 
Werk zu setzen“. Wenn diese Ermächtigung erst noch „erforderlich“ war, 
konnte der Bund doch nicht schon vor ihrer Erteilung gegründet werden.
	        
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