Zweiter Teil. Einleitung. $ 72. 233
I. Verträge.
1. Verträge mit fremden Staaten können, insofern sie
Bestimmungen enthalten, welche in das innere Staatsleben ein-
greifen, Quelle des Staatsrechts sein. Zur Eingehung solcher Ver-
träge sind sowohl das Reich als die Einzelstaaten befu Durch
den völkerrechtlichen Abschluß wird lediglich der betreffende
Staat bzw. das Reich gegenüber dem anderen Kontrahenten ver-
pflichtet. Für die Behörden und Untertanen erlangen die Ver-
träge erst durch Einführung seitens der Reichs- oder Staatsgewalt
Verbindlichkeit, haben aber dann ihnen gegenüber dieselbe Geltung
wie Gesetze 1,
2. Verträge mit einzelnen Personen oder Korpo-
rationen im Staate (Standesherren, Kirche) besitzen eine
Gültigkeit nur, insoweit entweder die Regierung zum Abschluß
derselben durch ein Gesetz ermächtigt ist oder sie die ausdrück-
liche Genehmigung der gesetzgebenden Organe erhalten haben.
Ihre verbindliche Kraft für Behörden und Untertanen beruht daher
ebenfalls auf Gesetzen.
3. Als Quelle des Reichsstaatsrechts kommen Verträge des
Reiches mit den Einzelstaaten oder Verträge unter
den einzelnen Staaten in Betracht!!. Es sind verschiedene
Arten derselben .zu unterscheiden: 1. Ein Teil der Verträge ver-
folgt den Zweck, die Reichsverfassung auszuführen bzw. zu modi-
fizieren, und ist in dieser selbst vorgesehen oder bestätigt worden
(Militärkonventionen und vertragsmäßige Bestimmungen über das
bayrische Militärwesen, Post- und Telegraphenverträge Preußens
mit kleineren Staaten). 2. Die Bestimmungen der Schlußproto-
kolle zu den Verträgen vom 15., 23. und 25. November 1870 sind,
während die Verträge selbst durch die spätere Verfassungsredaktion
ersetzt wurden, in $ 3 des Einführungsgesetzes vom 16. April 1871
ausdrücklich aufrechterhalten worden. 3. Endlich sind Verträge
aus der Zeit vor Gründung des Reiches, welche sich auf Gegen-
stände beziehen, die jetzt der Reichsgesetzgebung unterliegen,’
durch ausdrückliche Bestimmungen der Reichsverfassung für fort-
dauernd gültig erklärt worden, so namentlich der Zollvereinigungs-
vertrag vom 8. Juli 186718, Dieser soll jedoch nach Absicht der
Reichsverfassung künftighin nicht als Vertrags-, sondern als Ge-
setzesrecht im Deutschen Reiche Geltung haben.
II. Gewohnheitsrecht'*,
Auch im deutschen Staatsrecht kann eine Bildung von Rechts-
sätzen im Wege der Gewohnheit stattfinden, wenn auch die tatsäch-
liche Bedeutung des Gewohnheitsrechts bei der genauen Fixierung
ı0 Vgl. hierüber Triepel, Völkerrecht und Landesrecht 117 ff.
ı1 Vgl. Haenel, Yerttagsmäßige Elemente der Reichsverfassung 104 ff.,
225 ff.; Triepel a. a. O. 188 ff., 202 ft.
12 RV. Art. 50 u. 66, Schlußbestimmung zum XI, Abschnitt.
18 RV. Art. 40. Vgl. R. Delbrück, Der Artikel 40 der RV. (1881).
14 Vgl. oben $ 16 Nr. 2 und die dort angegebene Literatur.