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fast aller Rechtsgrundsätze in Gesetzen und Verfassungsurkunden nur
eine verhältnismäßig geringe ist!®. Das Gewohnheitsrecht ist teils
gemeines, teils partikuläres. Zu dem gemeinen Gewohnheitsrecht
gehören auch die in Deutschland rezipierten fremden Rechte. Von
diesen hat das kanonische Recht für das deutsche Staatsrecht keine
Bedeutung. Die libri feudorum können bei Fragen des Thron-
folgerechts noch als Quelle des Staatsrechts in Betracht kommen.
(Was das römische Recht betrifft, so ist dessen Rezeption im Be-
reiche des Öffentlichen, insbesondere des Staatsrechts gleichfalls in
Abrede gestellt wordenb. Indessen geht diese Ansicht zu weit“.
Es läßt sich schon nicht leugnen, daß (was gern mit besonderer
Entschiedenheit verneint wird) sogar vereinzelt Normen und In-
stitutionen des römischen ius publicum in Deutschland Aufnahme
gefunden haben, wie z. B. die Sätze über Privilegien, öffentliche
Sachen, Gemeingebrauch. Indessen ist zuzugeben, daß Fälle dieser
Art zu den Ausnahmen gehören. Viel bedeutsamer ist die durch
die Rezeption vermittelte Einwirkung — nicht so sehr des römischen
Staatsrechts als des römischen (d. h. spätrömischen) Staats-
edankens — auf die deutschen Verhältnisse. Das Ergebnis
ieser Einwirkung war, was bei dem absolutistischen Charakter
dieses Staatsgedankens nicht wundernehmen kann, vor allem eine
durchgreifende Steigerung der monarchischen Machtfülle in den
deutschen Ländern. Unter den Faktoren, welche den monarchischen
Absolutismus in Deutschland vorwärts gebracht haben, steht die
Rezeption des römischen Rechts mit in erster Linied.]
15 H. Schulze, Preußisches Staatsrecht $ 6 und Poezl, Bayrisches Ver-
fassungsrecht $ 18 behaupten, daß in Preußen bzw. in Bayern derogatorische
Gewohnheiten durch ausdrückliche Gesetzesbestimmungen ausgeschlossen
seien, und zwar unter Berufung auf das Pr. ALR, Einleitung $ 60 und
Tit. X 8 7 der bayrischen Verfassung. — Aber die Bestimmungen des ALR.
über Gewohnheitsrecht finden nur auf solche Gesetze Anwendung, welche
für das Gebiet des Landesrechts, dagegen nicht auf solche, welche für das
Gebiet des ganzen Staates erlassen sind, wie die Verfassung und die meisten
staatsrechtlichen Gesetze. Auch Tit. X $ 7 der bayrischen Verfassung,
welcher für jede Verfassungsänderung die Zustimmung der Stände fordert,
will nur eine Abänderung derselben durch Verordnungen, nicht aber durch
Gewohnheitsrecht ausschließen. Vgl. in bezug auf Bayern auch Dyroff in
Ann.D.R. (1889) 8283 ff. Das Gewohnheitsrecht als Quelle des deutschen
Staatsrechts verwirft gänzlich [zu Unrecht und grundlos] Grotefend, Staats-
recht der Gegenwart (1869) $ 26.
b Diese sehr verbreitete Ansicht geht vor allem auf Savigny zurück;
vgl. dessen System, $$ 1, 17, 27, sowie die eingehende literaturgeschichtliche
Darstellung bei Fleischmann, Über den Einfluß des Röm. Rechts auf das
deutsche Staatsrecht (Sonderabdruck aus den „Melanges Fitting“, herausgeg.
v. d. Universität Montpellier, 1908, 2 652 £f.).
e Übereinstimmend die von Fleischmann a. a. O. 654 ff. angeführten
Romanisten (Wächter, C. A. Schmidt, Brinz, Windscheid, Bekker, Fitting,
Dernburg); ferner Fleischmann selbst sowie Laband, Über die Bedeutung
der Rezeption des Röm. Rechts für das deutsche Staatsrecht (Straßburger
Rektoratsrede, 1880). Vgl. auch Anschütz im Verw.Archiv 5 30.
4 Diese Ansicht wird vornehmlich von Laband in der in Anm. c an-
geführten Schrift vertreten. Vgl. insbes. S. 39 das.: „Die Entwicklung des