Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

934 Zweiter Teil. Einleitung. $ 72, 
fast aller Rechtsgrundsätze in Gesetzen und Verfassungsurkunden nur 
eine verhältnismäßig geringe ist!®. Das Gewohnheitsrecht ist teils 
gemeines, teils partikuläres. Zu dem gemeinen Gewohnheitsrecht 
gehören auch die in Deutschland rezipierten fremden Rechte. Von 
diesen hat das kanonische Recht für das deutsche Staatsrecht keine 
Bedeutung. Die libri feudorum können bei Fragen des Thron- 
folgerechts noch als Quelle des Staatsrechts in Betracht kommen. 
(Was das römische Recht betrifft, so ist dessen Rezeption im Be- 
reiche des Öffentlichen, insbesondere des Staatsrechts gleichfalls in 
Abrede gestellt wordenb. Indessen geht diese Ansicht zu weit“. 
Es läßt sich schon nicht leugnen, daß (was gern mit besonderer 
Entschiedenheit verneint wird) sogar vereinzelt Normen und In- 
stitutionen des römischen ius publicum in Deutschland Aufnahme 
gefunden haben, wie z. B. die Sätze über Privilegien, öffentliche 
Sachen, Gemeingebrauch. Indessen ist zuzugeben, daß Fälle dieser 
Art zu den Ausnahmen gehören. Viel bedeutsamer ist die durch 
die Rezeption vermittelte Einwirkung — nicht so sehr des römischen 
Staatsrechts als des römischen (d. h. spätrömischen) Staats- 
edankens — auf die deutschen Verhältnisse. Das Ergebnis 
ieser Einwirkung war, was bei dem absolutistischen Charakter 
dieses Staatsgedankens nicht wundernehmen kann, vor allem eine 
durchgreifende Steigerung der monarchischen Machtfülle in den 
deutschen Ländern. Unter den Faktoren, welche den monarchischen 
Absolutismus in Deutschland vorwärts gebracht haben, steht die 
Rezeption des römischen Rechts mit in erster Linied.] 
15 H. Schulze, Preußisches Staatsrecht $ 6 und Poezl, Bayrisches Ver- 
fassungsrecht $ 18 behaupten, daß in Preußen bzw. in Bayern derogatorische 
Gewohnheiten durch ausdrückliche Gesetzesbestimmungen ausgeschlossen 
seien, und zwar unter Berufung auf das Pr. ALR, Einleitung $ 60 und 
Tit. X 8 7 der bayrischen Verfassung. — Aber die Bestimmungen des ALR. 
über Gewohnheitsrecht finden nur auf solche Gesetze Anwendung, welche 
für das Gebiet des Landesrechts, dagegen nicht auf solche, welche für das 
Gebiet des ganzen Staates erlassen sind, wie die Verfassung und die meisten 
staatsrechtlichen Gesetze. Auch Tit. X $ 7 der bayrischen Verfassung, 
welcher für jede Verfassungsänderung die Zustimmung der Stände fordert, 
will nur eine Abänderung derselben durch Verordnungen, nicht aber durch 
Gewohnheitsrecht ausschließen. Vgl. in bezug auf Bayern auch Dyroff in 
Ann.D.R. (1889) 8283 ff. Das Gewohnheitsrecht als Quelle des deutschen 
Staatsrechts verwirft gänzlich [zu Unrecht und grundlos] Grotefend, Staats- 
recht der Gegenwart (1869) $ 26. 
b Diese sehr verbreitete Ansicht geht vor allem auf Savigny zurück; 
vgl. dessen System, $$ 1, 17, 27, sowie die eingehende literaturgeschichtliche 
Darstellung bei Fleischmann, Über den Einfluß des Röm. Rechts auf das 
deutsche Staatsrecht (Sonderabdruck aus den „Melanges Fitting“, herausgeg. 
v. d. Universität Montpellier, 1908, 2 652 £f.). 
e Übereinstimmend die von Fleischmann a. a. O. 654 ff. angeführten 
Romanisten (Wächter, C. A. Schmidt, Brinz, Windscheid, Bekker, Fitting, 
Dernburg); ferner Fleischmann selbst sowie Laband, Über die Bedeutung 
der Rezeption des Röm. Rechts für das deutsche Staatsrecht (Straßburger 
Rektoratsrede, 1880). Vgl. auch Anschütz im Verw.Archiv 5 30. 
4 Diese Ansicht wird vornehmlich von Laband in der in Anm. c an- 
geführten Schrift vertreten. Vgl. insbes. S. 39 das.: „Die Entwicklung des
	        
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