Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Der Herrschaftsbereich. $ 74. 237 
lichen Umfang der Staatsherrschaft. Seine positive Bedeutun 
ist die, daß alle Personen und Personenvereinigungen, welche sic 
auf dem Staatsgebiete befinden, der Herrschaft des Staates unter- 
worfen sind, wovon nur das völkerrechtliche Verhältnis der Ex- 
territorialität eine Ausnahme bedingt. Die negative Bedeutung 
des Staatsgebietes liegt darin, daß innerhalb desselben jede Wirk-- 
samkeit anderer Staaten ausgeschlossen bleibt, soweit denselben 
nicht durch völkerrechtliche Verträge besondere Herrschaftsrechte- 
in der Form von sogenannten Staatsservituten eingeräumt sind. 
Die sogenannte Gebietshoheit ist kein Inbegriff bestimmter 
materieller Befugnisse*. Sie bedeutet nur das Recht des Staates, 
innerhalb eines Gebietes überhaupt Hoheitsrechte ausüben zu. 
können’, ’ 
In Deutschland kamen früher vielfach sogenannte Kondo- 
minate vor, d.h. Gebiete, innerhalb deren die Hoheitsrechte von 
mehreren Berechtigten ausgeübt wurden. Sie sind mit wenigen 
Ausnahmen im Laufe des gegenwärtigen Jahrhunderts beseitigt. 
worden®, 
schaft auf dem Gebiet, völkerrechtlich auch für eine solche über das Ge- 
biet. Mit der hier vertretenen Ansicht übereinstimmend: Rosin, Öffentliche 
Genossenschaft 46; Jellinek, System 381 und Staatslebre 77; Gumplowiez, 
sterreichisches Staatsr. 45; Bansi a. a. O. 663 ff., 672; Zorn in der 5. Aufl. 
von v. Rönnes Preuß. Staatsr. ($ 11) 200; im wesentlichen auch Affolter, 
Allgem. Staatsr. 14; Anschütz, Geffeken, Stier-Somlo a. a. O. (oben Anm. ]), 
vor allem aber Fricker und van Calker. 
a Die Staatsherrschaft erstreckt sich nicht nur auf den von den Staats- 
grenzen umgebenen Teil der Erdoberfläche, sondern (analog wie beim Privat- 
eigentum an Grundstücken, BGB. $ 905) auch auf Erdkörper und Luftraum, 
insbesondere auf den letzteren, und zwar grundsätzlich unbeschränkt. Von 
einer „Freiheit des Luftmeeres“ (Fauchille in der Revue generale de droit 
international public 8[1901] 418 ff.) kann keine Rede sein. Übereinstimmend 
inbesondere v. Lis ölkerrecht 81; Ullmann, Völkerrecht 180f.; Grünwald, 
Arch.Öff.R, 24 190 ff; Meurer, Ann.D.R. (1909) 187 ff., 198 ff. 
* Diese Meinung wird namentlich von älteren Schriftstellern vertreten, 
z. B. Zöpfl, St.R. ($ 442) 2 530; Held, Reichsverf. ($ 107) 1 183; v. Rönne- 
Zorn, Preußisches Staatsrecht ($ 34) 1 147; Poezl, Bayrisches Verfassungs- 
recht ($ 24) 54 und Staatswörterbuch 8 571; Gareis, Allgemeines Staatsrecht, 
in Marquardsens Handb. 138 ff. Vgl. dagegen auch die N. 3 zitierten Schrift- 
steller sowie Anschütz, Enzykl. 6f. 
8 Also namentlich auch über die auf dem Gebiet befindlichen Personen, 
welche nicht Staatsangehörige sind, wie Rosin a. a. O. 47 hervorhebt. Durch- 
aus übereinstimmend seine Ausführungen (a. a. O. 45ff.); die Ansicht, das 
Gebiet habe keine rechtliche Bedeutung, welche er S. 46 als von G. Meyer 
geäußert anzunehmen scheint, ist von diesem niemals ausgesprochen. 
6 Vgl. F. Gautier, Das Wesen des Staatsgebietes, dargestellt am Kon- 
dominat (Heidelb. Diss., 1906), Einzelne Kondominate, auch mit außer- 
deutschen Staaten, haben sich erhalten. Vgl. darüber v. Martitz in Ann.D.R. 
(1885) 283. Der Bodensee ist kein Kondominat, sondern unter die an- 
grenzenden Uferstaaten geteilt, wenn auch die Grenzen nicht an allen 
unkten mit völliger Bestimmtheit gezogen werden können. v. Martitz 
a. a. O. 278 gegen Rettig, Die völker- und staatsrechtlichen Verhältnisse 
des Bodensees, Tübingen 1884; v. Sarwey, Württembergisches Staatsrecht 
1 25; Seydel-Piloty, Bayrisches Staatsrecht 1 204f.; O. Mayer im WStVR.