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das Staatsgebiet für „unteilbar und unveräußerlich“ erklärt: bayr.
VU. Tit. 8 1, bad. VU. 8 34, Soweit dieser Satz sich gegen
den Landesherrn bzw. sein Haus richtet und diesen dynastischen
Faktoren privatrechtliche Veräußerungen und Teilungen des
Landes durch Verkaufs-, Tausch-, Erbverträge, Testamente usw.
verbietet, enthält er eine Selbstverständlichkeit, eine heute über-
flüssige Vorkehrung gegen Mißbräuche, welche nach dem Staats-
recht der Gegenwart ohnehin unmöglich sind, weil ihnen der
Boden, auf dem sie gedeihen konnten und gediehen, die privat-
rechtliche (patrimoniale) Staatsauffassung, durch den Sieg des
modernen Staatsgedankens entzogen ist®. Soweit aber jener Satz
nicht sowohl dem Herrscher und der Dynastie als dem Staate
selbst die Veräußerung und Teilung seines Gebietes, also über-
haupt die Disposition über sein Gebiet untersagen will, hat er
nicht dasjenige Maß verbindlicher Kraft, welches er zu haben
scheint. Er macht nämlich Gebietsabtretungen durch staatshoheit-
liche Akte weder faktisch noch rechtlich unmöglich, sondern be-
sagt nur, daß jede „Veräußerung und Teilung“, also jede Ver-
kleinerung des Staatsgebietes eine Verfassungsänderung erfordert,
also nur in den Formen der verfassungändernden Landesgesetz-
gebungf vorgenommen werden kann, während von Vergrößerungen
des Staatsgebietes, Gebietserwerbungen (die ja weder unter den
Begriff der „Veräußerung“ noch unter den der „Teilung“ fallen),
weder an den angegebenen noch an sonstigen Stellen der mittel-
staatlichen Verfassungsurkunden die Rede ist und sie somit, nach
dem diese Verfassungen beherrschenden Prinzip® durch Akt des.
Staatsoberhauptes ohne Gesetzesform, ohne Zustimmung des Land-
tags bewirkt werden können.
3. Was die Formen anlangt, in denen die Grenzen des.
Reichsgebietes verändert werden können, so enthält hierüber
die RV. keine ausdrückliche Vorschrift. Die Entscheidung der
Frage ergibt sich aber aus RV. Art. 1. Wenn es dort heißt:
„Das Bundesgebiet (Reichsgebiet) besteht aus den Staaten .. .“
(folgen die Namen der 25 Einzelstaaten), so wollte damit gesagt.
sein: die Grenze des Reichs gegenüber dem Ausland wird gebildet
durch die Auslandsgrenzen der Einzelstaaten in ihrem gegen-
wärtigen (also zur Zeit des Inkrafttretens der RV., 1. Januar
1871) bestehenden Zustande. Jede Änderung dieser Grenzen, sei
es durch Erwerbung, sei es durch Abtretung von Reichsgebiet,
involviert mithin ein Abänderung des Art. 1 und bedarf der Form
des verfassungändernden Reichsgesetzesh,
E IN l. v. Seydel, Bayr. St.R. 1 3936; Walz, Bad. St.R. 13; Anschütz,
nzykl. 79.
er Vgl. oben „al S. 93, unten $ 86 u. $ 9%.
f Unten $ 157 a. E,
8 Unten $ 84, 96.
b Vgl. unten $ 164. Beispiele solcher Gesetze: RG., betreffend die
Vereinigung von Elsaß und Lothringen mit dem Deutschen Reiche, vom