Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Der Herrschaftsbereich. $ 74a. 341 
Zum Reichsgebiete gehört nach dem RG. betr. die Einführung 
der Verfassung des Deutschen Reiches in Elsaß-Lothringen vom 
25. Juni 1873, $ 2, auch Elsaß-Lotfringen. Die soeben aus Art. 1 
RV, abgeleitete Regel bezieht sich also auch auf die Auslands- 
grenzen von Elsaß-Lothringen, 
Nicht dagegen bilden die Schutzgebiete einen Bestandteil 
des Reichsgebietes im Sinne des Art. 1 der RV.i Hieraus und 
im Hinblick auf die dem Kaiser durch das SchGG. $ 1k ein- 
geräumte Machtvollkommenheit konnte man folgern, daß die 
Grenzen der Schutzgebiete durch kaiserliche Verordnung ohne 
Zustimmung der geseizgebenden Faktoren des Reiches (Bundesrat 
und Reichstag) abgeändert werden durften, Indessen bestimmt 
nunmehr das (auf Initiative des Reichstags aus Veranlassung 
des Gebietsaustausches zwischen Deutschland und Frankreich in 
Zentralafrikal ergangene, in das SchGG. als $ 1 Abs. 2 ein- 
gestellte) RG. vom 16. Juli 1912 (RGBI. 443): „Zum Erwerb und 
zur Abtretung eines Schutzgebietes oder von Teilen eines solchen 
bedarf es eines Reichsgesetzes. Diese Vorschrift findet auf Grenz- 
berichtigungen keine Anwendung.“ — 
Es ist nunmehr der Frage näherzutreten, ob die Reichs- und 
die Landesstaatsgewalt jeweils allein und für sich, ohne die Zu- 
stimmung der anderen Gewalt zu bedürfen, Gebietsveränderungen 
vornehmen kann bzw. inwieweit jede der Zustimmung der anderen 
bei Vornahme solcher Akte bedarf. Die einzelnen möglichen Fälle 
sind zu unterscheiden: 
I. Das Reich kann allein und für sich, ohne Zustimmung 
der Einzelstaaten, 
1. unbeschränkt Gebiet erwerben. Diese unbeschränkte 
Erwerbsfähigkeit folgt aus der dem Reiche zustehenden vollen 
völkerrechtlichen Souveränetät,. Der Erwerb kann sich mit allen 
Mitteln und auf allen Wegen vollziehen, welche das Völkerrecht 
kennt: Vertrag, kriegerische Eroberung, friedliche Okkupation 
völkerrechtlich herrenlosen Landes. Die Einbeziehung der neu 
erworbenen Flächen in das Reichsgebiet erfordert, wie oben hervor- 
gehoben, ein verfassungänderndes Reichsgesetz, während, wenn sie 
dem Reiche als Schutzgebiet angegliedert werden sollen, ein ein- 
faches Gesetz ausreichend ist. Im Falle der Einbeziehung in das 
Reichsgebiet sind drei Möglichkeiten gegeben: Vereinigung des 
Zuwachses mit einem der bestehenden Einzelstaaten (so wurde mit 
der Insel Helgoland verfahren; vgl. oben S. 213), Formierung 
eines neuen Einzelstaates (ein bisher noch nicht vorgekommener 
Fall), Erklärung des Zuwachses zum Reichsland, d. h. zu einem 
9. Juni 1871; RG., betr. die Vereini ng von Helgoland mit dem Deutschen 
Reiche, vom 15. Dezember 1890; die beiden Gesetze vom 22. Januar 1%2 
(RGBI, 81, 82); RG. vom 31. Juli 198 (RGBi. 497). 
i Vgl, oben $ 74 8. 288. 
k Vgl. unten $ 141a. 
\ Vgl. oben $ 69a 8. 213. 
G. Meyer-Anschütz, Deutsches Staatsrecht I. 7. Aufl. 16
	        
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