Die Organe. $ 84. 273
Staatsgewalt hat jedoch keineswegs die Bedeutung, daß seine
Macht eine schrankenlose sei. Nach den konstitutionellen
Verfassungen ist er bei der Ausübung seiner Rechte teils an die
Beobachtung gewisser Formen, teils an die Mitwirkung anderer
Organe gebunden. Aber er behält die Präsumtion der Zuständigkeit;
es stehen ihm alle diejenigen Befugnisse zu, welche ihm nicht aus-
drücklich entzogen, den anderen Organen des Staates dagegen nur
die, welche ihnen ausdrücklich eingeräumt sind !®,
Die Rechte des Monarchen zerfallen in Regierungsrechte,
d. h. Befugnisse, deren er zur Erfüllung der Staatsaufgaben be-
darf! und Ehren- oder Majestätsrechte, d. h. Rechte,
welche einen äußerlichen Ausdruck seiner bevorrechtigten Stellung
enthalten. Zu den letzteren gehören die Ansprüche auf einen be-
stimmten "Titel (Majestät bei den Königen, Königliche Hoheit bei
den Großherzögen, Hoheit bei den Herzögen, Durchlaucht bei
den Fürsten), auf gewisse Insignien (Krone, Szepter, Reichsapfel,
Reichsschwert, Wappen), auf militärische Ehren und Kirchengebet,
sowie die Befugnis, einen Hofstaat zu halten!?. [Früher rechnete
Bornhak, Preußisches Staatsrecht 1 133, 461 ff.; Grotefend, Preußisches Ver-
waltungsrecht 1 19 N. 5; Rieker a.a. 0. 35 ff.; Anschütz, Die gegenwärtigen
Theorien über den Begriff der gesetzgebenden Gewalt und den Umfang des
königlichen Verordnungsrechts nach preuß. Staatsrecht (2. Aufl. 1901) 6 ff.;
van Calker im Handb. der Politik 1 140 ff. [Die Voraufl. (6. A. 245 N. 9)
knüpfte hieran die Bemerkung, die preußische Verfassung beruhe „demnach“
(d. h. im Hinblick auf die Eigenschaft des Königs als Träger der Staats-
gewalt) nicht auf dem Prinzip der Gewaltenteilung. Dieses Urteil geht fehl;
vgl. oben $ 8 S. 31 und die dort angegebene Literatur.]
10 Dies ist gemeinsames Recht aller deutschen Monarchien. Vgl.
Anschütz, Gegenwärtige Theorien 5f. Die Ansicht Schulzes (Deutsches
Staatsr. 1 477, Preuß. Staatsr. 1 610), welche das Mitwirkungsrecht der Volks-
vertretung auf das Ganze der Staatsgewalt erstrecken und die Krone daher
auch in Fällen, für welche dies durch die „erfassung nicht vorgeschrieben
ist, an den Konsens der Volksvertretung binden will, findet im positiven
Recht keines deutschen Einzelstaates eine Stütze, insbesondere nicht im
preußischen Staatsrecht. Dieser Standpunkt ist in neuerer Zeit besonders
von Arndt, vor ihm jedoch schon vielfach z. B. von v. Gerber und in sämt-
lichen früheren Auflagen dieses Lehrbuches vertreten worden; vgl. Anschütz
a.2.0.6, 7 Anm.6. Auch die Rechtsprechung erkennt ihn an: ÖVG. 55 473.
11 [Bezogen auf die Person des Monarchen sind diese „Regierungsrechte“
in Wahrheit keine subjektiven Rechte, sondern Kompetenzen. Inhaltlich
sind sie „Rechte“ nicht des Monarchen, sondern des Staates, zu deren Aus-
übung der Monarch organschaftlich berufen ist. Vgl. Jellinek, System 149f.;
Anschütz, Enzyklop. 124f. So sind z. B. das Recht der Gesetzessanktion, das
Verordnungsrecht, Beamtenernennungsrecht, die Kirchenhobeit, das Be-
gnadigungsrecht nichts anderes als in der Staatsgewalt enthaltene Einzel-
rechte, — also Befugnisse des Staates, nicht der Monarchenpersönlichkeit.]
12 Die Rechte auf Kirchengebet und militärische Ehren will Jellinek,
System 151f. nur als Reflexe bestimmter Gehorsamspflichten der Untertanen
gelten lassen. Nun entsprechen deuselben allerdings bestimmte Untertanen-
pflichten, Aber die betreffenden Einrichtungen sollen doch wesentlich dazu
ienen, die hervorragende Stellung des Monarchen zum Ausdruck zu bringen.
Das Recht ist also hier das primäre, die Pflicht das sekundäre Element.
Dagegen ist zugegeben, daß es ein Recht des Monarchen auf Landestrauer
G. Meyer-Anschütz, Deutsches Staatsrecht. I. 7. Aufl. 18