Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

280 Zweiter Teil. Zweites Buch. $ 85. 
Das Teilungswesen drohte den Glanz und die Macht der 
Fürstenhäuser zu untergraben. Es machte sich daher schon seit 
dem vierzehnten Jahrhundert vom Standpunkte des Familien- 
interesses innerhalb der fürstlichen Familien selbst eine Reaktion 
geltend. Man suchte den Gefahren der Teilungen durch haus- 
gesetzliche, testamentarische und vertragsmäßige Bestimmungen 
vorzubeugen. Diese Bestrebungen fanden, da die Teilungen auch 
gegen das Interesse des Landes verstießen, Unterstützung bei den 
Landständen. Je mehr überhaupt gegenüber dem patrimonialen 
Prinzip der Staatsgedanke zum Durchbruch kam, desto mehr 
wurden die Teilungen des Landes zur Unmöglichkeit. Anfangs 
begnügte man sich oft mit der Einsetzung einer gemeinschaftlichen 
Regierung für die verschiedenen Landesteile, bevorzugte den Erst- 
geborenen gegenüber den jüngeren Söhnen, bestimmte letztere für 
den geistlichen Stand oder untersagte ihnen den Abschluß von 
Ehen. Da sich jedoch diese Mittel nicht als wirksam erwiesen, so 
kam man bald zur Einführung der Individualsukzession, d. h. 
einer Thronfolgeordnung, welche nur einem Prinzen des Hauses 
Sukzessionsrechte einräumte, alle anderen dagegen ausschloß und 
somit jede Möglichkeit der Teilung beseitigte. 
Die Thronfolgeordnung, welche auf diese Weise in allen 
deutschen Fürstenhäusern zur Geltung gelangt ist, ist eine Erb- 
folge nach Linien. Linie heißt die Gesamtheit der durch 
einen gemeinsamen Stammvater verbundenen Personen. Die Be- 
stimmung des individuell Berechtigten erfolgt durch Erstgeburts- 
recht oder Primogeniturrecht. Es schließt jede ältere Linie 
die jüngeren, in jeder Linie der Erstgeborene die später Geborenen 
aus. Die Primogeniturordnung wurde zuerst durch die GB.? für 
die Kurhäuser eingeführt und verbreitete sich durch die Haus- 
gesetze von ihnen allmählich auf die übrigen Fürstenhäuser 
Deutschlands?, 
Durch diese Entwicklung hat die Thronfolge ihren Charakter 
vollständig verändert. Sie ist keine Erbfolge in einen Vermögens- 
komplex mehr, sondern die Berufung zu einer öffentlichen Organ- 
schaft. Die Sukzessionsberechtigung der einzelnen Mitglieder eines 
Fürstenhauses ist kein Privatrecht, welches diese in ihrem eigenen 
Interesse besitzen, sondern ein Anspruch öffentlichrechtlicher 
Natur, für dessen Regelung lediglich staatliche Rücksichten maß- 
gebend sind. 
2 GB. Kap. VII $$ 1, 2 (nach den Ausgaben von Altmann u. Bernheim 
und Zeumer), Abweichend von der herrschenden Meinung stellt Seydel, 
Vorträge aus dem Allgem. Staatsr. 44 die Ansicht auf, daß die GB. nicht 
das System der reinen Primogenitur, sondern das des sog. Majorats vor- 
geschrieben habe. 
3 Einen Überblick über die Einführung in den einzelnen Fürstentümern 
gibt H. Schulze, Recht der Erstgeburt 400 ff. 
* Die ältere privatrechtliche Auffassung, welche die Thronfolge als 
etwas der Sukzession in Lehns- und Fideikommißgüter Analoges behandelt, 
ist jedoch auch bei manchen neueren Schriftstellern, z. B. H. A. Zachariä,
	        
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