Die Organe. $ 89. 297
Rechtese, Nach altem deutschen Recht galt jede Ehe eines freien
Mannes mit einer freien Frau für ebenbürtig, und der Begriff der
c Über das Erfordernis der Ebenbürtigkeit in den deutschen Fürsten-
häusern bestehen vier Ansichten:
1. Das hier vertretene sog. strenge Prinzip — „streng“, weil es den
niederen Adel aller Stufen und Arten grundsätzlich (soweit nicht durch
Sondernormen — Staatsgesetz, Hausgesetz, Hausobservanz — ein anderes
bestimmt ist) von der Ebenbürtigkeit mit den regierenden Häusern aus-
schließt — ist zuerst von J. St. Pütter in seinem Buche über „Mißheiraten
teutscher Fürsten und Grafen“ (1796, vgl. insbes. S. 484 ff.) wissenschaftlich
begründet worden, blieb aber trotz des hohen Ansehens dieses Schriftstellers
in der Literatur des Staats-, Privat- und Fürstenrechts lange vereinzelt, bis
ee durch J. C. Kohler, Handbuch des deutschen Privatfürstenrechts (1882);
Chr. G. Göhrum, Geschichtl. Darstellung der Lehre von der Ebenbürtigkeit
(2 Bde., 1846 — ein hervorragendes, sehr einflußreiches Werk); v. Gerber
a. a. O. ($ 30) 94 und Deutsches Privatrecht $ 224 N. 7; Beseler, Deutsches
Privatrecht $ 171; H. Schulze, Art. „Ebenbürtigkeit“* im Staatswörterb.
8 187 ff., Preuß. Staater. $ 57, Lehrb. des deutschen Staatsr. 1 $ 96 (dort,
8. 283, drückt sich Sch. sehr schwankend und unsicher aus, anscheinend
neigt er mehr der unten zu 8 angegebenen Ansicht zu), Deutsches Fürsten-
recht 1364 ff, und andere, eine immer weitere literarische Verbreitung fand
(während die Rechtsprechung, vgl. unten Nr. 3, sich ihm weniger geneigt
zeigte). Als Vertreter dieser Meinung seien hier — beispielsweise — an-
geführt: Gierke, Deutsches Privatrecht 1 403, 404 und in der Enzyklop. d.
chtswiss. (7. Aufl.) 1203; Brockhaus in v. Holtzendorfis Rechtslex. 1 581 ff.;
E. Meier ebenda 8 884; Cosack in Margı ardsens (jetzt Piloty-Jellineks)
Handb. 9; v. Kirchenheim, Lehrb. d. deutsch. Staatsr. 191; Seidler, Studien 64;
Anschütz in der Enzyklop. 130; Bollmann, Lehre von der Ebenbürtigkeit
(Göttingen 1897); Hauptmann im Arch ÖfE.R. 17 529 ff.; ferner eine Anzahl
von Schriftstellern, die in dem lippeschen Thronstreit hervorgetreten sind,
alle diejenigen nämlich, die den Streitstandpunkt des Hauses Schaumburg-
Lippe verfochten, so: Laband, Schoen, Reuling, v. Weyhe-Eimke, Kekule
v. Stradonitz, Kohler, Stoerk; vgl. nähere Nachweisungen bei Schoen, Der
Lipp. Schiedsspruch und die Pinskersche Kritik (Berlin 1899) S. VIL, VIIL, 19 ££.,
sowie Kohler im Arch.Öff.R. 18 185 ff.
2. Dagegen halten J. J. Moser (in verschiedenen Schriften, vgl. insbes.
Familien-Staatsrecht deren teutschen Reichsstände Kap. XIV $$ 55 u. 59,
weitere Angaben in den oben zitierten Schriften von Göhrum, Bollmann)
und A, W, Heffter, Beiträge zum deutschen Staats- und Privatfürstenrecht
(1829) und Sonderrechte der souveränen usw. Häuser (1371) 117 ff. schon jede
Ehe mit einer Person von (niederem) Adel für gemeinrechtlich ebenbürtig.
Diese Ansicht ist heute allgemein aufgegeben.
9. Eine dritte Gruppe will unterscheiden zwischen solchen regierenden
Häusern, die zu alten Reichszeiten als altfürstliche galten und den
anderen, d. h. den ehemals reichsgräflichen und neufürstlichen
Familien, der Art, daß nur für die Altfürstlichen das strenge Prinzip (vgl.
oben 1) gemeinrechtlich gelten soll, während bei den Reichsgräflichen bzw.
Neufürstlichen die milde“ oder „laxe“ Observanz, d. h. die Zulassung des
niederen oder doch des alten niederen Adels zum Konnubium Gemeines
und Regelrecht sei. Diese Ansicht, u. a. von Struben, Nebenstunden (1757),
Abh. 36 und Rechtl. Bedenken (1763) 2 507 ff. aufgestellt, war im 18. Jahrh.
die herrschende (Schroeder, D. RGesch., 5. Aufl., 825; Anschütz, Der Fall
Friesenhausen 64, 65, 110ff.; zweifelnd Schücking, Art. „Ebenbürtigkeit“
a. a. O. 625, 626) und wurde damals insbesondere von den obersten Reichs-
erichten vertreten, so vom Reichshofrat z. B. in seinem Urteil in Sachen
iesenhausen vom Jahre 1753 (Anschütz a. a. O. 45, 46) und vom Reichs-
kammergericht in derselben Sache: Urteil vom 12. Febr. 1773, zuerst mit