336 Zweiter Teil. Zweites Buch. $ 97.
man es in allen größeren und mittleren Staaten zur Anwendung
gebracht. Nur in den kleineren herrscht das Einkammer-
system!.
In den Ländern, wo das Zweikammersystem besteht, gilt
der Grundsatz, daß zu einem Beschluß des Landtags die Zu-
stimmung beider Kammern erfordert wird. Nur die
Ordnung ihrer inneren Angelegenheiten bleibt jeder Kammer allein
überlassen; dahin gehört die Prüfung der Legitimation ihrer Mit-
glieder, die Beschlußfassung über die geschäftliche Behandlung
der Vorlagen und die Handhabung der Sitzungspolizei. In der
Regel ist auch jede Kammer für sich zur Ausübung des Petitions-,
Beschwerde- und Interpellationsrechtes und zur Annahme von
Petitionen befugt?®.
Die beiden Kammern beraten getrennt. (Gemein-
schaftliche Sitzungen derselben finden nur ausnahmsweise, meist
zur Erledigung formeller Geschäfte statt‘.
Die Rechte beider Kammern sind gleich. Nur in
bezug auf Finanzgesetze und den Staatshaushaltsetat sind der
zweiten Kammer größere Befugnisse eingeräumt. Vorlagen der
angegebenen Art müssen bei der zweiten Kammer eingebracht
werden®. Bei dem Staatshaushaltsetat beschränkt sich die Befugnis
der ersten Kammer in einigen Ländern darauf, denselben im ganzen
ı Das Zweikammersystem besteht in Preußen, Bayern, Sachsen, Württem-
berg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen, Preuß, Verf. Art. 62, Bayr. Verf.
Tit. VI$ 1, Sächs. Verf. $ 61. Württ. Verf. $ 128, Bad. Verf. $ 26, Hess.
Verf. Art. 51 ersetzt durch G., die Landstände betr., vom 3. Juni 1911 $ 1,
wegen Elsaß-Lothringen vgl. unten $ 141. Die Bezeichnung für die beiden
Kammern ist in Preußen (seit dem G. vom 30. Mai 1855): Herrenhaus und
Haus der Abgeordneten (vorher: Erste und Zweite Kammer), in Bayern:
Kammer der Reichsräte und der Abgeordneten, in den andern Staaten: Erste
und Zweite Kammer. Über das Zweikammersystem und sonstige allgemeine,
die Zusammensetzung der Parlamente betreffende Fragen gi Rehm im
WStVR. 2 724 ff.; Jellinek, Ausgew. Schriften und Reden 2 183 ff.
2 Preuß. Verf. Art. 62, Bayr. Verf. Tit. VI $ 19, Sächs. Verf. $ 62 u.
132, Württ. Verf. $ 182, Hess. Verf. Art. 95 u. 97.
8 Preuß. Verf. Art. 81, Bad. Verf. $ 67 (G. vom 20. Februar 1868 Art. 2).
Den entgegengesetzen Grundsatz enthält die Bayr. Verf. Tit. VII $$ 20 und
21, Tit. X 8 5, die Hess. Verf. Art. 79 und in bezug auf einzelne Gegen-
stände die Sächs. Verf. $S 109- 111. — Nach der Preuß. Verf. Art. 82 ist
auch jede Kammer berechtigt, Kommissionen zur Untersuchung von Tat-
sachen einzusetzen. — Über die Ministeranklage vgl. & 184.
* Namentlich zum Zweck der Eröffnung oder Schließung und der Ent-
‚gegennahme des Verfassungseides seitens des Monarchen oder Regenten.
ußerdem ordnen die Preuß. Verf. Art. 56 u. 57 und das Hessische Regent-
schaftsgesetz vom 26. März 1902, Art. 1, 2 gemeinschaftliche Sitzungen zum
Zweck der Beschlüsse über Regentschaft, die Württ. Verf. 53 190, 191, 193, 196
zur Vornahme gewisser Wahlen und Entgegennahme gewisser Berichte an.
6 Preuß. Verf. Art, 62, Bayr. Verf. Tıt. VI 8 18, Sächs. Verf. $ 122,
Württ. Verf. $ 173, Bad. Verf. 3 60 (G. vom 24. August 1904), Hess. Verf.
Art. 67 (G. vom 3. Juni 1911), G. über die Verf. Elsaß-Lotbringens vom
31. Mai 1911, $ 5 Abs. 3. Über diese Finanzprivilegien der Zweiten Kammer
vgl. Rehm im WStVR, 2 728 f£.; Jellinek, Der Anteil der Ersten Kammern an
der Finanzgesetzgebung, in der Laband-Festgabe von 1908.