Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Einleitung. $ 6, 23 
Volkes Veranlassung, die Quelle der weltlichen Gewalt im Volks- 
willen zu suchen, eine Auffassung, welche durch die Eigenschaft 
des heiligen römischen Reiches als eines Wahlreiches unterstützt 
wurde. So entwickelten sich gegenüber der einseitigen Auffassung 
von der Souveränetät des Monarchen schon im Mittelalter die 
Keime der Theorie der Volkssouveränetät. Diese wurde von 
den Schriftstellern des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts 
in ebenso einseitiger Weise wie die Theorie von der Souveränetät 
des Monarchen entwickelt. Ihre schroffste Ausbildung fand sie 
durch Rousseau®, ihre praktische Verwirklichung in der franzd- 
sischen Revolution. | 
Eine größere Klärung über den Begriff der Souveränetät hat 
erst im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts stattgefunden. Die 
Einführung konstitutioneller Verfassungen hat den Gedanken von 
der Schrankenlosigkeit des Herrschers beseitigt. Mit der Durch- 
dringung der historischen Staatsauffassung ist die Vorstellung, daß 
das eine oder das andere der angeführten Prinzipien das allein 
zulässige sei, überwunden worden. Durch die weitere Ausbildung 
der juristischen Lehre vom Staat sind die Personen des Staates 
und des Herrschers schärfer von einander geschieden worden ®. 
Der Begriff der Souveränetät stammt aus einer Zeit, wo eine 
strenge Scheidung der Personen des Staates und des Herrschers 
noch nicht stattgefunden hatte. Dies hat zur Folge gehabt, daß 
der Ausdruck „Souveränetät“ auch noch in der heutigen Wissen- 
schaft, sowie namentlich im Sprachgebrauch der Staatspraxis teils 
angewandt wird, um gewisse Eigenschaften des Staates, teils, 
um die Rechtsstellung bestimmter Personen im Staate zu 
bezeichnen ”. 
6 Rousseau, Du contrat social, namentlich livres II chap. 6 und III 
chap. 1, 16—18. Eine erschöpfende Darstellung der Geschichte des Begriffs 
der Volkssouveränetät gibt Gierke, Althusius les 
6 Preuß, Gemeinde, Staat, Reich 92 ff., 100 ff. will den Souveränctäts- 
begriff aus der Dogmatik des Staatsrechts völlig eliminieren, weil derselbe 
nur für den absoluten Staat passe, der kein anderes Gemeinwesen neben 
eich anerkenne. Aber wenn der Souveränetätsbegriff sich auch im absoluten 
Staate entwickelt hat, so ist doch seine Anwendbarkeit nicht auf diesen be- 
schränkt. Gerade für die Bestimmung des Verhältnisses mehrerer Gemein- 
wesen zueinander besitzt er eine erhebliche Bedeutung. Ebensowenig ist 
Aftolter, Allg. St.R. 11 und Arch.Off.R. 17 137 zuzustimmen, der den Begriff 
der Souveränetät für einen bloß politischen erklärt. Die Aufstellung des 
Souveränetätsbegriffes hat allerdings politischen Zwecken gedient, aber der 
Begriff selbst hat im Laufe der Zeit den Charakter eines Rechtsbegriffes 
angenommen. Vgl. auch Jellinek, Staatsl. 474f. 
1 Vgl Rehm, Staatsl. 62; Jellinek, Staatsl. 457, 474; Anschütz, Enzy- 
klop. 21ff. In dieser Unterscheidung ist nicht etwa, wie Jellinek, Staaten- 
verbindungen 24 meint, eine Spaltung der Souveränetät enthalten. Die- 
selbe ist deshalb notwendig, weil das Wort „Souveränetät“ tatsächlich 
zur Bezeichnung eines doppelten Verhältnisses gebraucht wird, indem es 
einerseits dazu dient, das Verhältnis des Staates zu anderen Rechts- 
subjekten, andererseits die Stellung bestimmter Personen im 
Staate zu bezeichnen. Im ersteren Sinne spricht man von Staats-
	        
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