Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Die Organe. $ 98. 343 
sind: Staatsangehörigkeit, ein bestimmtes Alter, Vollbesitz der 
bürgerlichen Ehrenrechte und das Freisein von gewissen Hinder- 
nissen (Vormundschaft, Konkurs, Staatsdienst bei einem außer- 
deutschen Staate)?; nach manchen Einzelverfassungen auch Wohn- 
sitz innerhalb des betreffenden Staates? ®, 
Die Frage, ob ein Mitglied der ersten Kammer befugt sei, 
auf seine Stelle zu verzichten, kann nicht allgemein, sondern 
nur auf Grund spezieller Prüfung derjenigen Bestimmungen ent- 
schieden werden, welche durch die Verfassungen für die einzelnen 
Kategorien von Mitgliedern aufgestellt sind. Wo die Annahme 
des Sitzes nicht von dem freien Belieben des einzelnen Mitgliedes 
abhängt, muß im Zweifel angenonmen werden, daß dasselbe auch 
zur Resignation nicht befugt ist*. 
ı Preuß, Verordnung vom 12. Okt. 1854 8 7, Bayr. Verf. Tit. VI S 5, 
Württ. Verf. $ 134 und 135 (Fassung vom 16. Juli 1906; vgl. mit G. vom 
31. Dez. 1861, betr. die Unabhängigkeitsstellung der staatsbürgerlichen 
Rechte vom religiösen Bekenntnis, und G., betr. einige Abänderungen des 
IX. Kapitels der Verfassungsurkunde, vom 26. März 1868 Art. 1), Hess. G. 
vom 8. Nov. 1872 Art. 10 und 11 (Fassung vom 3. Juni 1911). 
® Preuß. V. vom 12. Okt. 1854 8 7. 
® [Die Ansicht der Voraufl. (S. 309 N. 3), daß, wo die Landesgesetze 
Wohnsitz im Einzelstaate fordern, jetzt Wohnsitz im Reiche genüge, ist 
unbegründet. Sie läßt sich insbesondere nicht auf RV. Art. 3, auch nicht 
auf $1 des Freizügigkeitsgesetzes vom 1. Nov. 1867 stützen. Richtig Arndt, 
Komm. 392; v. Rönne-Zorn, Preuß. St.R. 1 285; Bornhak, Preuß. St.R. 1 402.) 
4 In Preußen besitzen die Mitglieder des Herrenhauses kein Recht, ihr 
Amt niederzulegen, da $$ 8 u. 9 der Verordnung vom 12. Okt. 1854 eine 
Anzahl von Erlöschungsgründen der Mitgliedschaft aufführen, uuter welchen 
sich die Resignation nicht befindet. In diesem Sinne hat sich auch die 
Matrikelkommission des Herrenhauses ausgesprochen. And. Ans.: Bornhak, 
Preuß. Staatsr. 1 403, 404; v. Stengel in Marquardsens Handb. 76; v. Frisch, 
Thronverzicht 13. Zweifelhaft äußern sich v. Rönne, Preuß, Staatsr. ($ 56) 
1 216 ff.; H. Schulze, Preuß. Staater. $ 159. v. Rönne-Zorn 1 288 und Arndt, 
Komm. 393 halten die Niederlegung nur mit Genehmigung des Königs für 
zulässig. Für Bayern behauptet Seydel-Piloty, Bayr. Staatsr. 1 244, 245 
die Möglichkeit eines Verzichtes; dieser Auffassung entspricht auch die 
Praxis der bayrischen Reichsratskammer. Über ürttemberg vgl. 
R.v. Mohl, Württemberg. Staatsr. 3 99, der die Möglichkeit einer Resignation 
in Abrede stellt und v. Sarwey, Württemberg. Staatsr. 2 165, der sie bejaht. 
Durch $ 158 der Württ. Verf. in der Fassung des G. vom 16. Juli 1906 ist 
der Austritt aus der Ersten Kammer durch „freiwilligen Entschluß“ nunmehr 
ausdrücklich zugelassen. In Sachsen steht der freiwillige Austritt aus der 
Ersten Kammer gewissen Gruppen von Mitgliedern frei. . ©. Mayer, 
Sächs, Staater. 1%, 123. In Baden ist die Verzichtbarkeit der durch Wahl, 
durch Ernennung oder durch Berufung als Stellvertreter begründeten Land- 
tagsmitgliedschaft jetzt ausdrücklich anerkannt: Verf. $ 39 in der Fassung 
des G. vom 24. Aug. 1904. Der Verzicht ist bei versammeltem Landtage 
dem Präsidenten der betr. Kammer, sonst dem Präsidenten des Staats- 
ministeriums schriftlich zu erklären; die Erklärung ist nicht widerruflich. — 
Ein allgemeines Recht der Mitglieder der ersten Kammern, auf ihre Stellung 
zu verzichten, behaupten Jellinek, System 174, 175 und v. Frisch, Thron- 
verzicht 15, 16. Nun ıst zuzugeben, daß die Ernennung durch den Monarchen 
an und für sich den Verzicht nicht ausschließt. Denn, wie Jellinek mit 
Recht ausführt, sind die vom Monarchen ernannten Mitglieder diesem gegen- 
über ebenso unabhängig wie die gewählten Abgeordneten gegenüber ihren
	        
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