Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

346 Zweiter Teil. Zweites Buch. $ 99. 
Charakter eines subjektiven Rechtes?; dagegen besitzt das soge- 
nannte passive Wahlrecht einen solchen nicht, es ist eine bloße 
Fähigkeit®. 
Das aktive Wahlrecht ist an den Besitz folgender Er- 
fordernisse geküpft: 1. Besitz der Staatsangehörigkeit seit einer 
bestimmten Zeit, 2. männliches Geschlecht, 3. ein gewisses Alter #, 
meist 25 (Preußen 24) Jahre, 4. Vollbesitz der bürgerlichen Ehren- 
rechte. Der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte tritt nach den 
Bestimmungen des RStGB® in keinem Falle von Rechts wegen 
ein, die Entziehung muß vielmehr in dem Straferkenntnisse aus- 
drücklich. ausgesprochen werden. Ob der Richter diese Entziehung 
aussprechen will, steht — von wenigen Ausnahmefällen abgesehen — 
in seinem Ermessen. Unbedingt zulässig ist sie neben Todes- und 
Zuchthausstrafe; neben Gefängnisstrafe nur dann, wenn die Dauer 
der erkannten Strafe drei Monate erreicht und entweder das Gesetz 
die Entziehung der bürgerlichen Ehrenrechte ausdrücklich gestattet 
oder die Gefängnisstrafe wegen Annahme mildernder Umstände 
an Stelle von Zuchthausstrafe ausgesprochen wird. Aufgehoben 
sind demnach diejenigen landesgesetzlichen Bestimmungen, welche 
als Strafe für die Wahlbestechung die Entziehung der Wahl- 
wesentlichen Änderungen vom 18. Mai 1913. — Reuß j. L.: Landtagswahl- 
gesetz vom 17. Jan. 1871, abgeändert am 8. Mai 1874. 30. April 1891 u. 
. Jan. 1913; Neuredaktion vom 8. Jan. 1913. — Schaumburg-Lippe: 
Wahlgesetz vom 17. Nov. 1868, abgeändert am 24, Dez. 1869 u. 22. März 
1906; neu gefaßt am 22. März 1906. — Lippe: Landtagswahlgesetz vom 
3. Juni 1876, abgeändert und neu bekannt gemacht am 19. Okt. 1912. 
®2 Dies wird mit Unrecht von Laband, Staatsr. 1 309, 315 geleugnet. 
Vgl. dagegen auch Radnitzky, Parteiwillkür im öffentlichen Recht 30f.; 
Jellinek, ystem 159 ff.; v. Stengel im Verwaltungsarchiv 8 199. [Die Aus- 
übung des Wahlrechts ist Beteiligung bei der Bildung des Staatswillens, 
also eine staatsorganschaftliche Handlung; der Wähler ist als solcher Staats- 
organ. And. M. Kelsen, Hauptprobleme 481 ff., 679 ff.] 
® Seydel-Piloty, Bayr. Staatsr. 1 251; Dantscher von Kollesberg, Die 
politischen Rechte der Untertanen 97; Radnitzky a. a. O. 
* Für Nr. 1—3 zu vgl. Preuß. Verf. Art. 70, V. vom 90. Mai 1849 $ 8, 
[dieser 8 8, nicht Art. 70 der Verf. stellt das geltende Recht dar; vgl. Anm. 1 
ieses Paragraphen, sowie Anschütz, „Wahlmündigkeit“, in der „Tägl. Rund- 
schau“ vom 19. Okt. 1898). Bayr. LandtagsWG. Art. 3, Sächs. WG. 8 9; 
Württ. Verf. $ 142 (Fassung, vom 16. Juli 1906); Bad. Verf. 55 34, 35 (Fassung 
vom 24. Aug. 1904), Hess. G., die Landstände betr., vom 9. Juni 1911, Art. 6, 
Weimar. LandtagsWG. $ 6, Oldenb. StGG. Art. 115 (Fassung vom 17. April 
1%9); Braunschw. WG. vom 6. Mai 1899 $ 4, S.-Mein. WG. Art. 2, 8.-Alt. 
WG. 8 6, S.-Kob.-Goth. StGG. $ 146, Anh. WG. vom 27. April 1913 8 2, 
Schw.-Sond. vom 22. April 1912 8 4 (G. vom 13. April 1881), Schw.-Rud. 
WG. 8 1, Reuß. ä. L. Verf. ? 55, Reuß j. L. WG. vom 8. Jan. 1913 $ 3, 
Schaumb.-Lipp. WG. Art. 1, Lipp. WG. $ 1. — Die preuß. V. vom 30. Mai 
1849 $ 8 fordert nur ein Alter von 24 Jahren. Die Mindestzeit, seit welcher 
der Besitz der Staatsangehörigkeit vorliegen muß, beträgt beispielsweise: 
in Bayern (Art. 3 Nr. 2) und Hessen (Art. 6 Nr. 2) ein Jahr, in Sachsen ($ 9) 
und Baden (Verf. $ 34) zwei Jahre. Ahnliche „Karenzfristen“ gelten für das 
passive Wahlrecht; vgl. unten Anm. 20 und c. 
6 RStGB. $$ 32—37.
	        
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