Die Organe. $ 105. 377
Vereinzelt kommt eine besondere Gerichtsbarkeit des Staats-
zgerichtshofes über Mitglieder des Landtages oder des ständischen
Ausschusses wegen Handlungen vor, welche auf den Umsturz der
Verfassung gerichtet sind ®®, _
5. Den Landtagsmitgliedern stehen besondere Privilegien in
bezug auf Verhaftung und, weitergehend, auf Einleitung und
Fortsetzung strafgerichtlicher Untersuchungen zu. Auch sie waren
den früheren ständischen Einrichtungen Deutschlands unbekannt
and sind unter dem Einfluß ausländischer Vorbilder in die kon-
der Zweiten Kammer $ 43, Hess. GO. Art. 55, S.-Weim. GO. 88 17—25 (bei
Verletzung der Verschwiegenheit), S.-Mein. GG. Art. 99, S.-Kob.-Goth. GO.
& 3, Braunschw. GO. $ 36, Old. GO. $ 101, Anh. GO. $ 63, Schw.-Rud. GG.
19 bei Eröffnung des Kreditverfahrens, Schw.-Sondh. GO. vom 15. Febr.
912 8 22, Reuß ä. L. Verf. $ 65, Wald. Verf. $ 69 u. GeschO. $ 38. [Eine
eingehende systematische Darstellung des Inhalts dieser Bestimmungen unter
vergleichender Berücksichtigung des ausländischen Rechtes gibt Hermann
F. Schmid, Parlamentarische Disziplin, Arch.Off.R. 82 439 tf.; vgl. auch
Binding, Notwehr der Parlamente gegen ihre Mitglieder (1914), 26ff. Be-
sonders beachtenswert ist $ 64 Abs. 2 der GeschO. Preuß. AbgH.: „Im Falle
besonders grober, die Würde des Hauses schädigender Verletzung der Ord-
nung kann der Präsident den Abgeordneten für den Rest des Tages von
der Sitzung ausschließen“. Die Rechtsgültigkeit dieser Bestimmung ist ge-
legentlich eines Anwendungsfalles (am 9. Mai 1912 wurde der Abgeordnete
Borchardt von der Sitzung ausgeschlossen, und als er sich weigerte, der
Ausschließung Folge zu leisten, durch Polizeibeamte, welche der Präsident
des Hauses zu diesem Zwecke requiriert hatte, gewaltsam aus dem Sitzungs-
saale entfernt) eingehend erörtert und von einigen Schriftstellern (vgl. Bendix,
JW. 1912 665 ff.; \Werthauer, das. 834 ff.;, Horstmann in der Monatsschr. f.
Kriminalpsychologie u. Strafrechtsreform 10 153 ff.; Kritik: Schmid a. a. O.
523 ff.) wegen angeblich mangelnder gesetzlicher Grundlage und wegen Wider-
spruchs mit StrGB. $ 105 (welcher die gewaltsame Entfernung von Mitgliedern
gesetzgebender Versammlung aus ihrer Versammlung mit Strafe bedroht)
angefochten worden. Indessen fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage keines-
wegs: Art. 73 Abs. 1 der Preuß. Verf. ermächtigt die Kammern, ihre
Disziplin durch die Geschäftsordnung zu regeln und das Disziplinarmittel
des Ausschlusses von der Sitzung ist bisher auch außerhalb Preußens (vgl.
Schmid a. a. O. 79ff.) überall für zulässig gehalten worden. StrGB. $ 105
richtet sich nur gegen denjenigen, welcher rechtswidrig Gewalt gegen
einen Volksvertreter gebraucht. „Ob eine mit Strafe bedrohte Handlung
rechtswidrig ist, läßt sich niemals aus der betreffenden Strafdrohung allein
beurteilen, sondern immer nur vermöge ihres Zusammenhaltens mit dem
Gesamtkomplex aller übrigen auf die Handlung bezüglichen Rechtsnormen“
(Goldschmidt, JW. 1912, 562). Der Präsident, welcher auf Grund der GeschO.
einen Abgeordneten aus dem Saale entfernen läßt, handelt ebensoweni
rechtswidrig, wie der Scharfrichter, welcher einen Menschen vorsätzlic
tötet. Demgemäß und aus noch anderen Gründen für die Rechtsgültigkeit des
64a.a.0.: Hamm, DJZ. 17 649 ff.; Hubrich a. a. ©. 456 ff.; Hatschek, DJZ.
559f.; Goldschmidt, JW. 1912, 562 ff.; Schmid a. a. O. 523 ff.; jetzt auch
{Lehrb. d. Strafrechts II 2, 821 und Notwehr der Parlamente gegen ihre
Mitglieder 27) Binding, der sich früher, Handb. d. Strafr. 1 673 gegen
die Zulässigkeit des Ausschlusses erklärt hatte. Die Zulässigkeit ist sodann
in dem gegen den Abgeordneten Borchardt wegen Hausfriedensbruchs und
Widerstands gegen die Staatsgewalt eingeleiteten Strafverfahren auch von
den Gerichten anerkannt worden, insbesondere vom Reichsgericht: Urteil des
zweiten StrSen. vom 6. Mai 1913, Entsch. Strafs. 47 270 £f,
36 \Württ. Verf. 85 195 u. 199, Braunschw. N. LO. $ 108.