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stitutionellen Verfassungen übergegangen *‘. Diese gestatten die
Verhaftung eines Landtagsmitgliedes oder überhaupt die Einleitung
einer strafgerichtlichen Untersuchung gegen Landtagsmitglieder
während der Sitzungsperiode nur mit der Einwilligung des Land-
tages oder der betreffenden Kammer, wovon höchstens der Fall
des Ergreifens auf frischer Tat eine Ausnahme macht?’., Der
Zweck dieser Bestimmungen ist nicht, einen Verbrecher deshalb,
weil er Landtagsmitglied ist, der gerichtlichen Bestrafung zu ent-
zieben, sondern nur tendenziösen Verfolgungen vorzubeugen, welche
angestellt werden, um Kammermitglieder an der Austibung ibres
Berufes zu hindern. Aus diesem Grunde und weil die betreffenden
Bestimmungen den Charakter von Privilegien haben, also eng aus-
gelegt werden müssen, sind sie auf Verhaftungen, welche erfolgen,
damit ein Landtagsmitglied eine rechtskräftig erkannte Strafe ver-
büße, nicht anzuwenden ?®; ebensowenig auf Verhaftungen, welche
angeordnet werden, um das Erscheinen des Angeklagten vor Gericht,
insbesondere in der Hauptverhandlung, zu erzwingenf. Einige
ss Im englischen und nordamerikanischen Rechte bezieht sich das
Privileg nur auf die Verhaftung wegen Schulden, dagegen nicht auf eine
Verhaftung wegen begangener erbrechen. (May a.a. OÖ. chap. V; Verf. der
Ver. St. Art. I sect. 6 $ I, Freund, Amerik. Staatsr. 108; Hatschek, Engl.
Staatsr. 1 425). Erst die kontinentalen Verfassungen haben dasselbe auch
auf Verhaftungen in Kriminalsachen ausgedehnt (Franz. Verf. vom 3. Sept.
1791, tit. III, chap. 1 sect. 5 $ 8, Franz. Charte vom 4. Juni 1814 88 34, 51,
52, Belg. Verf. Art. 45), Vgl. Seidler in GrünhutsZ. 24 234 ff.
9 Unzulässig ist nicht nur die Verhaftung sondern überhaupt die Ein-
leitung einer Untersuchung in Preußen (Verf. Art. 84), Bayern (Verf. Tit. VII
$ 26, Fassung vom 6. Juli 1908), Württemberg (Verf. $ 184, Fassung vom
16. Juli 1906), Sachsen- Weimar (RGG. $ 19), Sachsen-Altenburg (G., die
Sicherstellung der Abgeordneten gegen persönliche Haft betr., vom 23. Nov.
1848), Reuß j. L. (StGG. 8 94), Schaumb.-Lippe (Verf. Art. 18); nur die Ver-
haftung in Sachsen (Verf. $ 84, doch interpretiert Sonntag, chutz usw. 73
die Bestimmung weiter), Baden (Verf. $ 49), Hessen (Verf. Art. 84, vgl. Zeller
im Arch.Off.R. 11 420 ff.), Sachsen- Koburg-Gotha (StGG. $ 86), Oldenburg
(StGG. Art. 132), Braunschweig (N. LO. $ 135), Reuß ä. L. (Verf. $ 65). — Die
Bestimmung der S.-Mein. GG. 8 100 befreit nur von der Haft in bürgerlichen
Rechtssachen und Polizeisachen und läßt die Kriminaluntersuchung za.
2 Über die Interpretation des Art. 31 der R. Verf. vgl. $ 133. Dieselbe
ist auch für die landesgesetzlichen Vorschriften von Wichtigkeit, da diese
mit denen der Reichsverfassung zum Teil wörtlich übereinstimmen. — Über-
einstimmend: H. Schulze, Lelhirb. Deutsch. Staatsr. ($ 180) 1 487, Preuß.
Staatsr. 8 160; v. Rönne, Preuß. Staatsr. ($ 72) 1 317; Zorn in der 5. Aufl.
dess. 1 386 fl.; v. Sarwey, Württemberg. Staatsr. 2 209; Bornhak, Preuß.
Staatsr. 1 429, 431; v. Kirchenheim, Lehrb. Deutsch. Staatsr. 265; Fuld im
Magazin f. d. deutsche Recht der Gegenwart 7 1ff.; Seidler, Immunität 105 ff. ;
van Calker, Hess. Staatsr. 57. [Daß die oben erörterten landesgesetzlichen
Bestimmungen sich nur auf die Haft zum Zwecke der Strafverfolgung
(Untersuchungshaft), nicht auf die Strafvollstreckungshaft bezichen,
ergibt sich auch aus EStrPO. 8 6 Nr. 1 (s.u. N. 30), woselbst nur diejenigen
landesgesctzlichen Normen aufrechterhalten werden, welche Vorschriften
enthalten „über die Voraussetzungen, unter welchen gegen Mitglieder einer
gesetzgebenden Versammlung während der Dauer einer Sitzungsperiode
eine Strafverfolgung eingeleitet oder fortgesetzt werden kann“.
f StrPO. 88 229, 235. Vgl. RG. Strafs. 38 179ff.; Adam, DJZ. 9 358;
Dambitsch, Komm. z, RV. 469, 470. Die Verhaftung zum Zweck der Vor-