994 Zweiter Teil. Zweites Buch. $ 107.
Kanzleien, auch Hofräte oder Oberräte, seit dem sieb-
zehnten Jahrhundert meist Regierungen genannt (s. u. Anım. &)
waren dagegen ständige Kollegien zur Besorgung der allgemeinen
Landesverwaltung und Unterstützung des Landesherrn in der
Führung der Landesregierung. Sie besaßen ebenfalls eine Ge-
richtsbarkeit, welche im wesentlichen mit der der Hofgerichte kon-
kurrierend war. Da letztere mit der fortschreitenden Rezeption
des römischen Rechtes sich mehr und mehr als ungeeignet zur
Verwaltung der Rechtspflege erwiesen und ihr bloß periodischer
Zusammentritt die Erledigung der Rechtsstreitigkeiten verzögerte,
so ging in vielen Territorien die Gerichtsbarkeit beinahe voll-
ständig auf die Kanzleien (Regierungen) über, neben welchen die
Hofgerichte eine bloße Scheinexistenz fortführten*. Nur da, wo
diese früh den Charakter ständiger und gelehrter Gerichtshöfe an-
genommen hatten, vermochten sie sich zu erhalten®,.
Von den Kanzleien als den Behörden für die allgemeine
Landesverwaltung sonderten sich allmählich einzelne Spezial-
behörden für gewisse Zweige der Verwaltung ab. Namentlich
trat das Bestreben hervor, die Finanzverwaltung von der all-
gemeinen Verwaltung zu trennen. So entstanden die Kammern
(Hofkammern, Amtskammern, Domänenkammern, Raitkammern
oder Rentkammern) für die Verwaltung der landesherrlichen Dc-
mänen und Einkünfte. Die Verwaltung des Heerwesens wurde
besonderen Kriegsräten übertragen. In den protestantischen
Ländern bildeten sich die Konsistorien für die Handhabung
der landesherrlichen Kirchengewnalt.
Die Kanzleien erledigten ihre Geschäfte ursprünglich unter
regelmäßiger Teilnahme des Landesherrn. Im Laufe der Zeit
wurden ihnen aber immer mehr Angelegenheiten zur selbständigen
Entscheidung überlassen, und die Landesherren behielten sich nur
einige zur persönlichen Erledigung vor. Sie berieten diese mit
einer besonderen Behörde, dem Geheimen Rate. Die Ent-
stehung der Geheimen Räte fällt in das sechzehnte und siebzehnte
Jahrhundert. Aber der Geheime Rat nahm schließlich ebenfalls
+7. B. in Hessen, Kursachsen, Württemberg und in vielen neu er-
worbenen brandenburgisch-preußischen Besitzungen,
52. B. in der Mark Brandenburg, (vgl. F. Holtze, Geschichte des
Kammergerichts in Brandenburg-Preußen, 3 Bde., Hintze, Ratstube und
Kammergericht in Brandenburg während des sechzehnten Jahrhunderts,
Forsch. z. brandenb. u. preuß. Gesch. ?4 1ff., in den Herzogtümern Pommern
und Preußen, der Kurpfalz, den braunschweig-lüneburgischen Besitzungen,
wo die Hofgerichte aber ebenfalls hinter den Justizkanzleien zurücktraten,
und in den mecklenburgischen Herzogtümern.
8 Der österreichische Geheime Rat wurde wahrscheinlich 1527 errichtet
(Rosenthal, Behördenorganisation Ferdinands I., 32), der brandenburgische
1604, (Stölzel, Brandenburgs Rechtsverwaltung 1 29 ff.; Bornhak in
Forschungen zur brandenburg. u. preuß. Gesch. 5 85 ff.; Schmoller, Acta
Borussica 1 76 ff., E. v. Meier, Reform der Verwaltungsorganisation, 2. Aufl.
3 ff., 417 £.), der kursächsische 1574 (v. Römer, Staatsrecht und Statistik des
Kurfürstentums Sachsen 2 96), der bayrische gegen Ende des 16.