Einleitung. $ 8. 29
Justiz ist demnach eine bloße Ausführung der Gesetze, die
Verwaltung ist teils eine Ausführung derselben, teils ein
freiesHandelninnerhalbder vom Gesetze gezogenen
Schranken’. Die Tätigkeit der Verwaltung zur Ausführung
der Gesetze nennt man Vollziehung, das freie Handeln inner-
halb der gesetzlichen Schranken Regierung®. Einen Staat, in
dem die Befugnisse der Verwaltung gesetzlich fest begrenzt sind
und nur in Übereinstimmung mit den Gesetzen ausgeübt werden
können, bezeichnet man als Rechtsstaat”. [Ein Rechtsstaat ist
ein Staat, welcher nicht nur das Verhältnis der Justiz, sondern
auch das der Verwaltung zu den Untertanen in eine rechtliche
Ordnung gebracht hat, dergestalt, daß die Verwaltung niemals
einer gesetzlichen Bestimmung zuwiderhandeln und in die Freiheit
der Untertanen nur insoweit eingreifen darf, als das Gesetz ihr
dies gestattet] b,
Die Gesetzgebung als die höchste Funktion des Staates ist
formell durch keine Schranke gebunden. Als eine höhere Norm
über den gewöhnlichen Gesetzen besteht aber in vielen Staaten
noch ein besonderes Grundgesetz (Verfassung). Die Be-
stimmungen desselben sollen bei der Ausübung der Gesetzgebung
als Schranke beobachtet werden®. Dem englischen Staatsrecht
5 vol. Anschütz, Enzykl. 28f., 169 ff., Justiz und Verwaltung a. a. O.
373, 381 ff.; Fleiner Institut. 3 ff.
® Auf den Unterschied zwischen Regierung und Vollziehung hat in
neuerer Zeit im Anschluß an Albrecht namentlich F. v. Martitz, Betrachtungen
über die Verfassung des Norddeutschen Bundes (1868) 2, aufmerksam gemacht.
Vgl. übrigens auch Stahl $ 57, sowie Fleiner Instit. 4, 5.
? In diesem Sinne wird das Wort in neuerer Zeit ausschließlich gebraucht,
so namentlich in den Büchern und Schriften R. v. Mohls [auf den die heute
allgemein gewordene Bedeutung des Ausdruckes zurückgeht; vgl. Thoma,
Jahrb. d. öff. R. 4 197], in _Gneists Rechtsstaat, L. v. Steins Verwaltungs-
lehre, Bährs Rechtsstaat. Vgl. insbesondere auch O. Mayer, V.R. 1 53 tft..
61 ff.; E.v. Meier in der Enzykl. der Rechtswiss. (6. A.) 2 729 ff. und Anschütz
im Verw.Arch. 14 325.
b Der Ausdruck „Rechtsstaat“ geht also auf eine bestimmte Ordnung
des Verhältnisses zwischen Gesetz, Verwaltung und Individuum. Diese Ver-
hältnisordnung, gekennzeichnet dadurch, daß die Verwaltung weder gegen
ein Gesetz (contra legem) noch ohne gesetzliche Grundlage (praeter, ultra
legem) in die Freiheitssphäre des Individuums eingreifen darf, steht im
historischen und dogmatischen Gegensatz zu der Verwaltung des (insoweit
Polizeistaat“ genannten) absoluten Staates, welche eine ausschließlich dureh
Zweckmäßigkeitsrücksichten, nicht durch Rechtssätze gebundene Tätigkeit
darstellte. Die rechtsstaatliche Ordnung der Dinge wird auch als „Prinzip
der gesetzmäßigen Verwaltung“ bezeichnet: Anschütz, Verw.Arch. 5 23, 14
325 ff., im Pr.Verw.Bl. 22 83 ff, Enzykl. 153, Kultur der Gegenwart 381, 382,
Komm. z. preuß. Verfass. 1 97; Fleiner, Instit. 6, 121 fl.
Eingehende dogmengeschichtliche und begriffliche Erörterungen über
den Rechtsstaat gibt Thoma: Rechtsstaatsidee und Verwaltungsrechtswissen-
schaft, J.ÖfE.R. 4 196 ff. Vgl. ferner: Stier-Somlo, Rechtsstaat, Verwaltung
und Eigentum (1911), derselbe Handb. der Pol. 1 305 ff.
8 Über die Geschichte des Begriffs „Verfassung“ und über die Be-
deutun der Verfassungen im Staatsrecht der Gegenwart: Jellinek, Stantal.
505 fl., 531 ff.