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ist der Begriff der Verfassung in diesem Sinne unbekannt. Der-
selbe hat seine Ausbildung in Nordamerika gefunden. Nach der
Unabhängigkeitserklärung der englischen Kolonieen verwandelten
einzelne derselben die ihnen von der englischen Krone verliehenen
Kolonialcharten in Verfassungen, andere gaben sich besondere
Grundgesetze!®. Auch die Union erhielt bei ihrer Begründung eine
von den gewöhnlichen Gesetzen verschiedene Verfassung. Dem
amerikanischen Beispiel folgten die Staaten des europäischen
Kontinents nach!. Die Bedeutung der Verfassung ist jedoch in
den verschiedenen Ländern eine verschiedene. In Nordamerika
bestehen für die Abänderung der Verfassung besondere verfassung-
gebende Organe, welche mit den gesetzgebenden nicht identisch
sind. Ähnliche Einrichtungen haben auch in den europäischen
Republiken, nämlich in Frankreich und der Schweiz, Eingang ge-
funden. Nach dem Staatsrecht der konstitutionell-monarchischen
Staaten Europas, insbesondere nach deutschem Staatsrecht steht
dagegen die Abänderung der Verfassung den gewöhnlichen Organen
der Gesetzgebung zu, und es sind dafür nur erschwerende Formen
vorgeschriebend. [Die Verfassung gilt hier nicht als Wille einer
° Jellinek, Staatsl. 515 ff.; E. Zweig, Die Lehre vom Pouvoir constituant,
ein Beitrag zum Staatsrecht der französischen Revolution (1909) 50 ff.
10 Vgl. Jellinek, Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte
(2. Aufl., 1904), 11 ff., Staatsl. 518 f.
1 er den Begriff der Verfassung und der verfassunggebenden Gewalt
(pouvoir constituant) in der Staatslehre der französischen Revolution vgl.
as oben N. 9 zit. Buch von Zweig,
SE und, Das Öff. Recht der Vereinigten Staaten von Amerika (1911)
A .
4 Die früheren Auflagen enthielten an dieser Stelle noch folgende Sätze:
„Die Justiz darf unter keinen Umständen gegen die bestehenden Rechts-
vorschriften verstoßen, denn ihre Aufgabe ist die Aufrechterhaltung der-
selben. Dagegen darf die Staatsgewalt in Ausübung ihrer andern Tätig-
keiten die rechtlichen Schranken durchbrechen, wenn die Existenz oder
Sicherheit des Staates dies erfordert. In einem solchen Falle kann die Ver-
waltung gesetzwidrig, die Gesetzgebung verfassungswidrig handeln. Man
nennt dies Recht der Staatsgewalt das ius eminens oder Staatsnot-
recht. Der Ausdruck „Staatsnotrecht* ist jedoch nicht korrekt. Die be-
treffenden Handlungen sind nicht Ausfluß eines Rechtes, sondern werden
entgegen dem bestehenden Recht vorgenommen.“ — Diese Ausführungen
sind, soweit sie sich auf die Justiz beziehen, selbstverständlich, soweit auf
die „andern Staatstätigkeiten“, abwegig. Eingriffe der Verwaltung bedürfen
im Rechtsstaate stets der gesetzlichen Örundlage; auch dann, wenn sie durch
die Existenz oder Sicherheit des Staates erfordert“ sind. Der „Notstand“
kann die gesetzliche Grundlage nicht ersetzen: was die Verwaltung nach
dem Prinzip der gesetzmäßigen Verwaltung (oben Anm. b) nicht darf, darf
sie unter keinen Umständen, auch nicht unter solchen, in denen ihre Organe
einen Notstand erblicken. Sie hat kein Recht, das Recht zu brechen. Wenn
ferner die Legislative „verfassungswidrig handelt“, d. h. ein Gesetz ohne
Wahrung der Formen der Verfassungsänderung erläßt, so ist dies gleichfalls
ein durch keinen „Notstand“ zu rechtfertigendes Unrecht, freilich eines,
dessen Begehung der Begehende lediglich vor sich selbst zu verantworten
bat, indem es — nach richtiger Ansicht, vgl. unten $ 173 — den Behörden
und Untertanen nicht zusteht, Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu
prüfen, Die auf naturrechtlichem Boden erwachsene (O. Mayer, Verwalt.R.