Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

410 Zweiter Teil. Zweites Buch. $ 110. 
vention des hansischen Bundes, die zünftlerischen Unruhen und 
Aufstände vielfach gewaltsam unterdrückt wurden. Diese Ereig- 
nisse bewirkten auch einen Rückschlag in Süd- und Westdeutsch- 
land. Seit dem fünfzehnten Jahrhundert wird die Verfassung der 
Städte mehr und mehr obligarchisch, eine Veränderung, 
welche namentlich in der Gestaltung des Rates zum Ausdruck 
kommt. An die Stelle der Wahl und kurzen Amtsdauer der Rats- 
mitglieder tritt Kooptation und Lebenslänglichkeit. Die Ratsstellen 
kommen in die Hände weniger Familien. Der Rat betrachtet sich 
nicht mehr als Repräsentant der Stadt, sondern als eine kraft 
eigenen Rechtes regierende Obrigkeit, zu welcher die städtischen 
Bürger im Verhältnis von Untertanen sich befinden. Die größeren 
Kollegien, welche dem Rat gegenüber die Bürgerschaft vertreten 
sollten, waren ohne Einfluß. Der Gemeinsinn der Bürger ver- 
schwand, und die Zünfte begannen ihre Privilegien im privaten 
Interesse auszubeuten. 
Diese Zustände hatten schon seit dem fünfzehnten Jahrhundert 
ein kräftiges Eingreifen einzelner Landesherren in die städtischen 
Verhältnisse zur Folge®. Namentlich zeichneten sich die Hohen- 
zollern durch derartige Maßnahmen gegenüber den brandenburgi- 
schen Städten aus. Die Ratswahlen wurden der landesherrlichen 
Bestätigung unterworfen, die Autonomie der Städte beschränkt 
und viele Gegenstände der städtischen Verwaltung durch landes- 
herrliche Anordnungen geregelt. Unter dem Einfluß der Stände 
gelangten jedoch diese reformatorischen Bestrebungen wieder zum 
Stillstande. Ebenso hatten die volkstümlichen Bewegungen, welche 
in den Städten während der Reformationszeit entstanden, keinen 
dauernden Erfolg. Die oligarchische Verfassung des Rates blieb 
bestehen. Die Vertretung der Bürgerschaft erlangte keinerlei Ein- 
fluß. Das Bürgerrecht wurde als ein nutzbares Privatrecht an- 
geseben, welches den Anspruch auf bürgerliche Nutzung und 
bürgerliche Nahrung gewährte. Die Aufnahme in den Bürger- 
verband war an sehr erschwerende Bedingungen, Vermögens- 
nachweise, Zahlung eines hohen Bürgergeldes u, dgl. geknüpft; 
nur für Bürgerssöhne und Ehemänner von Bürgerstöchtern oder 
Bürgerswitwen bestanden Erleichterungen. Neben den Bürgern 
existierte eine große Zahl von Schutzgenossen, welche die bürger- 
lichen Lasten trugen, ohne Rechte zu genießen. 
Durch den dreißigjährigen Krieg war der Wohlstand der 
Städte zerstört und meist eine vollständige Zerrüttung der städti- 
schen Finanzen eingetreten. Diese Umstände veranlaßten wieder 
ein kräftigeres Eingreifen der landesherrlichen Obrigkeit. Die 
fürsorgende und bevormundende Tätigkeit derselben erstreckte 
sich auch auf die Städte. Energische Maßregeln dieser Art er- 
% Schmoller a.a.O. Jahrg. 8 527 ff.; Bornhak, Gesch, des Preuß. Verw.R. 
1 139 ff., Preuß. Staats- und Rechtsgesch. 16 ff.; Preuss, Entwicklung des 
deutschen Städtewesens 1 119 ff.
	        
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