478 Zweiter Teil. Zweites Buch. $ 121.
3. der Reichstag. Er ist weder Träger noch Mitträger
der Reichsgewalt, sondern, entsprechend dem Begriff der Volks-
vertretung nach deutschem Staatsrecht und analog den deutschen
Landtagen, ein beschränkendes Element, an dessen Mitwirkung
die verbündeten Regierungen bei Ausübung gewisser Funktionen
gebunden sind *.
Unter diesen drei obersten Organen verteilen sich die Be-
fugnisse in der Art, daß der Reichstag alle diejenigen Rechte
besitzt, welche den Volksvertretungen in konstitutionellen Staaten
und namentlich in Deutschland zuzustehen pflegen, also das Recht
der Mitwirkung bei der Gesetzgebung und Feststellung des Haus-
haltplans, das Recht der Genehmigung gewisser völkerrechtlicher
Verträge und ein Recht der Kontrolle hinsichtlich der Verwaltung.
Die Verteilung der Befugnisse zwischen Bundesrat und Kaiser
ist so geregelt, daß die gesetzgeberischen Funktionen [abgesehen
von den mehr formalen Kompetenzen der Ausfertigung und Ver-
kündigung der Reichsgesetze] als die höchsten und obersten ledig-
lich dem Bundesrate übertragen sind. Die Übereinstimmung der
Mehrheitsbeschlüsse von Bundesrat und Reichstag ist zu einem
Reichsgesetz „erforderlich und ausreichend“ (RV Art. 5). Dagegen
liegen die Regierungs- und Verwaltungsbefugnisse des Reiches zum
großen Teil in den Händen des Kaisers. Der Kaiser hat das
Reich völkerrechtlich zu vertreten, im Namen des Reiches Krieg
zu erklären und Frieden zu schließen, Gesandte zu beglaubigen
und zu empfangen. Ihm steht die Ausfertigung und Verkündigung
der Reichsgesetze und die Überwachung der Ausführung derselben
zu. Er hat die obere Leitung der eigenen und unmittelbaren
Reichsverwaltung (d.h. der Verwaltung, welche durch eigene Be-
nicht Delegatar der verbündeten Regierungen oder des Bundesrates: An-
schütz, Enzykl. 103, 104, auch Rehm, Staatsl. 100, 177 N.83. A.M. Jellinek,
Staatal. 554, 555 Anm. 1, Seydel, Komm. 126, sowie G. Meyer in der Voraufl.
$ 121 N. 4. Er sagt dort: „Der Kaiser leitet seine Rechte allerdings nicht
vom Bundesrate (Haenel, AnnDR 1877, 91), wohl aber von der Gesamtheit
der verbündeten Regierungen ab. Es ist demnach nicht richtig, ihn neben
der Gesamtheit der verbündeten Regierungen als selbständigen Träger der
Reichsgewalt zu betrachten, wie von Haenel a. a. O.; H. Schulze, Preuß.
StR 8 268, Lehrb. d. deutsch. StR 2 8 252 S. 28 ff., ee S. 32 ff.; Brie,
Theorie der Staatenverbindungen 127; Fischer, Das Recht des deutschen
Kaisers 19 ff., Loening a. a. O. geschieht.“ — M.E, haben Haenel, Schulze,
Brie, Fischer und Loening, indem sie für die Unmittelbarkeit der dem Kaiser
zustehenden Organschaft eintreten, recht. — Binding, Die rechtliche Stellun
des Kaisers (1898), 14 ff., 24 ff, will „Regentenrechte” und „Monarchenrechte
des Kaisers unterscheiden: jene übe er als Delegatar des „Kollektivsouveräns“
d. h. der verbündeten Regierungen aus, diese kraft eigenen Rechts. Diese
Unterscheidung erscheint mir unbegründet; richtig Rehm, Staatsl. 177 Anm. 3.
Vgl zu allem Vorstehenden unten $ 127.
4 Übereinstimmend: v. Martitz 82ff.; Laband, StR 1 $ 32, 8. 269;
Haenel a. a. OÖ. 89; M. Seydel, AnnDR 1880, 352; v. Rönne, Preuß. StR
2 8 175 8. 515; Brie a. a. O. 127. — Dagegen bezeichnen Thudichum,
VerfR 101 und R,v. Mohl, Reichsstaatsrecht 49 und 59, den Reichstag neben
Kaiser und Bundesrat als Träger der Reichsgewalt,