Die Organe, $ 122. 481
finden auf sie die Grundgedanken der konstitutionellen Monarchie
Anwendung *. Die letztere Verfassungsform war der Frankfurter
Reichsverfassung zugrunde gelegt worden, welche den Kaiser als
Träger der Reichsgewalt behandelte und ihm Staatenhaus und
Volkshaus als beschränkende Elemente zur Seite setzte. Mit
vollem Rechte ist bei Feststellung der Verfassung des norddeutschen
Bundes und des Deutschen Reiches ein anderer Weg eingeschlagen
worden. Hätte man in dem fast ausschließlich aus Monarchien
bestehenden Bundesstaate die Zentralgewalt ebenfalls monarchisch
konstruiert, so wäre bei den einzelnen Gliedern stets das Gefühl
der verminderten Souveränetät zurückgeblieben, und sie würden
sich nur mit Unlust und Widerstreben den Anordnungen des
Reiches gefügt haben®. Ein solcher Zustand wäre aber im
Deutschen Reiche geradezu unerträglich gewesen, da bei der um-
fassenden gesetzgeberischen Kompetenz desselben die Ausführung
der Reichsgesetze notwendig in die Hände der Einzelstaaten
gelegt werden mußte. Dagegen hat man, indem man die Gesamt-
heit der verbündeten Regierungen als Träger der Reichsgewalt
hinstellte und in dem Bundesrat ein Organ zur Vertretung der-
selben schuf, ihnen für die verlorene Souveränetät im Einzelstaat
einen Ersatz in der Teilnahme an der Souveränetät über das
ganze Reich gegeben. Der Bundesrat ist kein bloßer Gesandten-
kongreß wie der alte Bundestag. In ihm sitzen teils die leiten-
den Staatsmänner der Einzelstaaten, teils erfahrene Beamte aus
den verschiedenen Zweigen der Verwaltung. Dadurch sind aber
besaß der Kaiser eine vollkommen selbständige Stellung außerhalb des
Reichstages, so daß zu allen wichtigen Akten der Reichsregierung eine Zu-
stimmung von Kaiser und Reichstag erforderlich war. Dagegen wird im
jetzigen Reiche in denjenigen Fragen, welche der Entscheidung des Bundes-
rates unterliegen, der Kaiser nicht als solcher, sondern nur als Landesherr,
als König von Preußen, durch seine Vertreter im Bundesrate tätig. Voll-
kommen originell ist außerdem bei dem jetzigen Bundesrate die regierungs-
ähnliche Stellung, welche er gegenüber dem Reichstage einnimmt. [Vom
historisch-politischen Standpunkt aus ist aber gar nicht bestreitbar, daß der
Bundesrat die geschichtliche Fortsetzung des alten Reichstages darstellt.
Das vermittelnde Glied ist die Bundesversammlung des deutschen Bundes,
Vgl. Anschütz, Enzykl. 95, 196.]
* Die bei einzelnen Schriftstellern vertretene Auffassung, daß die
Beicheverfassung unfertig und widerspruchsvoll sei, erklärt sich meist aus
dem Umstande, daß sie unrichtigerweise die Grundsätze der konstitutionellen
Monarchie auf das Deutsche Reich anwenden. Dies gilt von Held, Die Ver-
fassung des Deutschen Reiches, von den beiden Schriften des Grafen
Münster, Der norddeutsche Bund und dessen Übergang zu einem Deutschen
Reiche, Leipzig 1868; Deutschlands Zukunft das Deutsche Reich, Berlin
180, und X. Winter, Der Bundesrat und die Reichsoberhausfrage, Tü-
ingen 1872.
e Frankf. Reichsverf. Abschn. III Art. 3 H 8. „
6 Dieser Gedanke ist namentlich in den $ 120 N. 5 angeführten Auße-
rungen Bismarcks ausgesprochen. Vgl. Anschütz, Bismarck und die Reichs-
verfassung 25 ff., Enzykl. 94, 95; Rehm, Unitarismus und Föderalismus in
der deutschen Reichsverfassung; O. Mayer im ArchÜffR 18 361 ff4; Triepel,
Unitarismus und Föderalismus im Deutschen Reiche (1907).