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Bundesrate nur in seiner Eigenschaft als König von Preußen
durch die preußischen Bevollmächtigten vertreten ist, so ergibt
sich, daß der Reichskanzler preußischer Bevollmächtigter sein
muß’. [Ist der Reichskanzler verhindert und ein allgemeiner
Stellvertreter (Generalstellvertreter, Vizekanzler, vgl. unten $ 135a)
für ihn bestellt, so steht diesem das Recht des Vorsitzes nicht
dierungen des verfassungberatenden Reichstages ist ihm allerdings außer-
dem die Funktion eines obersten Verwaltungsbeamten des Reiches beigelegt,
in seiner ursprünglichen Stellung und den Rechten der Präsidialmacht aber
durchaus nichts verändert worden. Ebensowenig hat bei der Gründung des
Deutschen Reiches und der Abfassung der jetzigen RV die Absicht be-
standen, in bezug auf das Amt des Reichskanzlers und die Stellung Preußens
als Präsidialmacht irgend eine Veränderung vorzunehmen. Auch die Be-
stimmung des Schlußprotokolls vom 23. Nov. 1870 Nr. IX, wonach im Falle der
Verhinderung Preußens der Vorsitz im Bundesrat von dem bayrischen Ver-
treter geführt werden soll, deutet darauf hin, daß der Vorsitz grundsätzlich
Preußen zustehen soll, Es ist unmöglich, diese Festsetzung, wie Haenel
a. a. OÖ. will, so zu verstehen, daß Preußen dadurch nur ein Recht auf
Substitution im Falle der Verhinderung des Reichskanzlers beigelegt
werden solle.
? Die Meinung, daß der Reichskanzler Bevollmächtigter und zwar
reußischer Bevollmächtigter zum Bundesrat sein müsse, wird fast von allen
chriftstellern geteilt: Laband, StR 1; Haenel, Organisatorische Ent-
wicklung der RV 26ff.; Zorn, StR 1 160ff., 252; v. Rönne, Preuß. StR
2 R 175 S. 517; Zorn in der 5. Aufl. des. 1 $ 6 S. 123; H. Schulze,
Lehrbuch des deutschen StR 2 1,268 S. 91; v. Kirchenheim, Lehrbuch
des deutschen StR 312; Proebst, Verf. des Deutschen Reiches, zu Art, 15
Nr. 3; Rosenberg, Die staatsrechtliche Stellung des Reichskanzlers 9, 11 ff.;
Preuß in ZStW 45 438, 445, 446; Zorn, Komm. zur RV zu Art, 15
Nr. 1; Arndt, Komm. z. RV, z. Art. 15 S. 132 u. RStR 97; Fischer, Das Recht
des deutschen Kaisers 143 ff.; Seydel, Komm. zu Art. 15; Graßmann im
ArchÜffR 11 331 ff.; Loening, Grundzüge 63; Anschütz, Enzykl. 98, 99;
Herwegen a. a. O. 49; Kliemke a. a. O. 22ff. fordert wenigstens, daß der
Reichskanzler Bundesratsmitglied sei. Dagegen hat Bismarck ‚gele entlich
die Ansicht ausgesprochen, daß der Reichskanzler gar nicht Mitglied des
Bundesrats zu sein brauche (Reichstagssitzung vom 13. März 1877, Sten. Ber.
1 127, und vom 24. Jan. 1883, Sten. Ber. 898, Gedanken und Erinnerungen
2 397). Dieselbe wird in der Wissenschaft von P. Hensel a.a.0. 10f.
verireten. Gegen diese Ansicht spricht aber der Umstand, daß der Vorsitz
im Bundesrat ein Recht der Präsidialmacht Preußen ist, das nur durch einen
Bevollmächtigten dieser Macht ausgeübt werden kann, sowie die geschicht-
liche Entwicklung des Amtes des Reichskanzlers, der ursprünglich sogar
lediglich preußischer Bevollmächtigter zum Bundesrat sein sollte (vgl. N. 6).
Außerdem zeigt Art. 15 der RV, welcher dem Reichskanzler die Befugnis
beilegt, sich durch „jedes andere Mitglied des Bundesrates“ vermöge schrift-
licher Substitution vertreten zu lassen, deutlich genug, daß nach Absicht
der RV der Reichskanzler ebenfalls Mitglied des Bundesrates sein soll. Der
Vorgang aus dem Jahre 1867 endlich, auf den sich Hensel a. a. O. 12 beruft,
beweist nicht gegen, sondern für die hier vertretene Meinung. In dem
Verzeichnis der Bundesratsbevollmächtigten vom 10. Aug. 1867 findet sich
der Name des damaligen Bundeskanzlers Grafen v. Bismarck allerdings nicht.
Daraus folgt aber nicht, daß er zu jener Zeit nicht Bundesratsbevollmächtigter
war. Er war dies vielmehr unzweifelhaft, denn er hat damals sogar die
reußische Stimme im Bundesrate geführt. Die Veröffentlichung seiner
igenschaft als Vertreter im Bundesrate wurde nur deshalb nicht für nötig ge-
halten, weil man annahm, daß diese sich wegen seiner Ernennung zum
Bundeskanzler von gelbst verstehe. Vgl. auch Seydel, KritVJSchr 24 273.