Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

488 Zweiter Teil. Zweites Buch. $ 124. 
Bundesrate nur in seiner Eigenschaft als König von Preußen 
durch die preußischen Bevollmächtigten vertreten ist, so ergibt 
sich, daß der Reichskanzler preußischer Bevollmächtigter sein 
muß’. [Ist der Reichskanzler verhindert und ein allgemeiner 
Stellvertreter (Generalstellvertreter, Vizekanzler, vgl. unten $ 135a) 
für ihn bestellt, so steht diesem das Recht des Vorsitzes nicht 
dierungen des verfassungberatenden Reichstages ist ihm allerdings außer- 
dem die Funktion eines obersten Verwaltungsbeamten des Reiches beigelegt, 
in seiner ursprünglichen Stellung und den Rechten der Präsidialmacht aber 
durchaus nichts verändert worden. Ebensowenig hat bei der Gründung des 
Deutschen Reiches und der Abfassung der jetzigen RV die Absicht be- 
standen, in bezug auf das Amt des Reichskanzlers und die Stellung Preußens 
als Präsidialmacht irgend eine Veränderung vorzunehmen. Auch die Be- 
stimmung des Schlußprotokolls vom 23. Nov. 1870 Nr. IX, wonach im Falle der 
Verhinderung Preußens der Vorsitz im Bundesrat von dem bayrischen Ver- 
treter geführt werden soll, deutet darauf hin, daß der Vorsitz grundsätzlich 
Preußen zustehen soll, Es ist unmöglich, diese Festsetzung, wie Haenel 
a. a. OÖ. will, so zu verstehen, daß Preußen dadurch nur ein Recht auf 
Substitution im Falle der Verhinderung des Reichskanzlers beigelegt 
werden solle. 
? Die Meinung, daß der Reichskanzler Bevollmächtigter und zwar 
reußischer Bevollmächtigter zum Bundesrat sein müsse, wird fast von allen 
chriftstellern geteilt: Laband, StR 1; Haenel, Organisatorische Ent- 
wicklung der RV 26ff.; Zorn, StR 1 160ff., 252; v. Rönne, Preuß. StR 
2 R 175 S. 517; Zorn in der 5. Aufl. des. 1 $ 6 S. 123; H. Schulze, 
Lehrbuch des deutschen StR 2 1,268 S. 91; v. Kirchenheim, Lehrbuch 
des deutschen StR 312; Proebst, Verf. des Deutschen Reiches, zu Art, 15 
Nr. 3; Rosenberg, Die staatsrechtliche Stellung des Reichskanzlers 9, 11 ff.; 
Preuß in ZStW 45 438, 445, 446; Zorn, Komm. zur RV zu Art, 15 
Nr. 1; Arndt, Komm. z. RV, z. Art. 15 S. 132 u. RStR 97; Fischer, Das Recht 
des deutschen Kaisers 143 ff.; Seydel, Komm. zu Art. 15; Graßmann im 
ArchÜffR 11 331 ff.; Loening, Grundzüge 63; Anschütz, Enzykl. 98, 99; 
Herwegen a. a. O. 49; Kliemke a. a. O. 22ff. fordert wenigstens, daß der 
Reichskanzler Bundesratsmitglied sei. Dagegen hat Bismarck ‚gele entlich 
die Ansicht ausgesprochen, daß der Reichskanzler gar nicht Mitglied des 
Bundesrats zu sein brauche (Reichstagssitzung vom 13. März 1877, Sten. Ber. 
1 127, und vom 24. Jan. 1883, Sten. Ber. 898, Gedanken und Erinnerungen 
2 397). Dieselbe wird in der Wissenschaft von P. Hensel a.a.0. 10f. 
verireten. Gegen diese Ansicht spricht aber der Umstand, daß der Vorsitz 
im Bundesrat ein Recht der Präsidialmacht Preußen ist, das nur durch einen 
Bevollmächtigten dieser Macht ausgeübt werden kann, sowie die geschicht- 
liche Entwicklung des Amtes des Reichskanzlers, der ursprünglich sogar 
lediglich preußischer Bevollmächtigter zum Bundesrat sein sollte (vgl. N. 6). 
Außerdem zeigt Art. 15 der RV, welcher dem Reichskanzler die Befugnis 
beilegt, sich durch „jedes andere Mitglied des Bundesrates“ vermöge schrift- 
licher Substitution vertreten zu lassen, deutlich genug, daß nach Absicht 
der RV der Reichskanzler ebenfalls Mitglied des Bundesrates sein soll. Der 
Vorgang aus dem Jahre 1867 endlich, auf den sich Hensel a. a. O. 12 beruft, 
beweist nicht gegen, sondern für die hier vertretene Meinung. In dem 
Verzeichnis der Bundesratsbevollmächtigten vom 10. Aug. 1867 findet sich 
der Name des damaligen Bundeskanzlers Grafen v. Bismarck allerdings nicht. 
Daraus folgt aber nicht, daß er zu jener Zeit nicht Bundesratsbevollmächtigter 
war. Er war dies vielmehr unzweifelhaft, denn er hat damals sogar die 
reußische Stimme im Bundesrate geführt. Die Veröffentlichung seiner 
igenschaft als Vertreter im Bundesrate wurde nur deshalb nicht für nötig ge- 
halten, weil man annahm, daß diese sich wegen seiner Ernennung zum 
Bundeskanzler von gelbst verstehe. Vgl. auch Seydel, KritVJSchr 24 273.
	        
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