Die Organe. $ 132. old
der Redefreiheit (RV Art. 30, s. unten $ 133) haben sie nicht in An-
spruch zu nehmen.
Zur Beschlußfähigkeit des Reichstages ist die An-
wesenheit der Mehrheit der gesetzlichen Zahl der Mitglieder er-
forderlich ?. Diese beträgt, da der Reichstag aus 397 Mitgliedern
besteht, 199. Der Umstand, daß zur Zeit der Abstimmung Man-
date erledigt sind, hat auf die beschlußfähige Zahl keinen Ein-
fluß. Übrigens ist die Anwesenheit der beschlußfähigen Zahl nur
für die Abstimmung, nicht auch für die Beratung notwendig.
Ebensowenig wird erfordert, daß sich die Hälfte der Mitglieder
wirklich an der Abstimmung beteiligt. Die Frage, ob die beschluß-
fähige Anzahl anwesend sei, unterliegt lediglich der Entscheidung
des Reichstages. Die Beschlußfassung erfolgt mit absoluter
Stimmenmehrheit? Anträge, welche Stimmengleichheit erhalten
haben, sind also als abgelehnt zu betrachten ?!. Die Abstimmung
muß in der nächsten Sitzung wiederholt werden, wenn ein Mit-
glied für die betreffende Sitzung ausgeschlossen und seine Stimme
maßgebend war, ausgenommen bei Beschlüssen über Geschäfts-
ordnungsfragen 22.
Die Verhandlungen des Reichstages sind nach der Reichs-
verfassung öffentlich?®. Die Geschäftsordnung bestimmt
jedoch, daß der Reichstag auf den Antrag seines Präsidenten oder
auf den Antrag von zehn Mitgliedern zu einer geheimen Sitzung
zusammentreten kann, in welcher zunächst über den Ausschluß
der Öffentlichkeit zu beschließen ist **.
19 RV Art. 28.
82° RV Art. 28.
®! Die ursprüngliche Fassung der RV enthielt in Art. 23 Abs. 2 eine
Vorschrift, wonach im Reichstage ebenso wie im Bundesrate bei Beschluß-
fassung über eine Angelegenheit, welche nicht dem ganzen Reiche gemein-
schaftlich war, die Stimmen nur der Mitglieder gezählt wurden, welche in
Bundesstaaten gewählt waren, denen die Angelegenheit gemeinschaftlich
war. Dieselbe ist durch RG vom 24. Febr. 1873 beseitigt worden.
2:2 Reichstagsbeschluß vom 16. Febr. 1895.
23 RV Art. 22.
2* Die Rechtsgültigkeit dieser Bestimmung der GO wird von der
herrschenden Meinung bestritten, weil die Verf. in Art. 22 die Öffentlichkeit
der Verhandlungen ohne irgend welche Beschränkung feststelle (Hiersemenzel
zu Art. 2 Nr. II 1; Seydel, Komm. zu Art. 22 Nr. 1, Ann. 417; Laband,
StR 1 346 N. 3, Kl.A. 82, im HbOFR 58; Zorn, StR 1 244, Komm. zur RV
zu Art. 22 Nr. 1; Binding, HbDStrR 1 680 N. 2; Arndt, Komm. zur RV
zu Art. 22 Nr. 2, RStR 1; H. Folckerts, Die Verfassungswidrigkeit des
8 36 der rev. GO des Reichstages, Münster 1894; Fleischmann in DJZ
5 157 f£.; Perels im ArchÖfR I5 548 ff. (mit weiteren Literaturangaben)
Dambitsch, RV 419, 420. — Wenn aber Abs. 2 desselben Art. 22 bestimmt,
daß wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen in den öffentlichen
Sitzungen des Reichstages von jeder Verantwortlichkeit frei bleiben, so er-
kennt er damit stillschweigend die Möglichkeit anderer als öffentlicher
Sitzungen an. Gegen diese Auffassung ist nicht geltend zu machen, den
Gegensatz zu den Öffentlichen Sitzungen des Reichstages bildeten die ge-
heimen Verhandlungen der Abteilungen und Kommissionen (Laband, StR