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die ınm erteilten Instruktionen zu befolgen hat und seiner Regie-
rung für diese Befolgung verantwortlich ist. Der einfachen An-
wendung dieses Grundsatzes auf den Reichskanzler steht jedoch
dessen Eigenschaft als Reichsminister (unten Nr. 2) entgegen.
Solange diese Eigenschaft dem Kanzler noch nicht zugedacht war,
also im Stadium der Entwürfe der Nordd. BV, vor Annahme der
lex Bennigsen (s. oben), konnte es allerdings, wie das ja auch
tatsächlich der Fall war, im Plane liegen, den Kanzler der
reußischen Staatsregierung, insonderheit dem für die Instruierung
der preußischen Bundesratsstimme zuständigen Ressortminister,
dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten, unterzuordnen.
Nachdem aber der Kanzler in die Stellung eines verantwortlich
leitenden und kontrasignierenden Bundesministers erhoben worden
war, konnte es bei der ursprünglich beabsichtigten Abhängigkeit
von einer preußischen Ministerialinstanz nicht verbleiben. Der
Minister des Deutschen Kaisers kann der Regierung ıdes
Königs von Preußen nicht untergeordnet, sondern muß deren
Haupt und Leiter sein. Wer im Reiche Minister, und zwar nach
der Verfassung oberster, führender Minister ist (s. u. 526), kann
in Preußen nicht lediglich „Unterstaatssekretär für deutsche An-
gelegenheiten“ (Ausdruck Bismarcks s. 0.523 Anm. d), sondern muß
Minister dieser Angelegenheiten und damit befugt und berufen
sein zur Wahrnehmung der Beziehungen Preußens zum Reich,
insbesondere zur Erteilung bzw. verantwortlichen Gegenzeichnung
der preußischen Bundesratsinstruktiionen. Er muß — dieses
„Muß“ ist wie das soeben ausgesprochene als eine nicht zwar
staatsrechtliche, wohl aber politische Notwendigkeit aufzufassen —
darüber hinaus überhaupt eine maß- und ausschlaggebende Stellung
innerhalb der preußischen Staatsregierung einnehmen. Denn nur
dann ist gesichert, was im Reichsinteresse nicht entbehrt werden
kann: die stete Einheitlichkeit der kaiserlichen und der preußi-
schen Politik, Die von der Verfassung vorgeschriebene Identität
des Kaisers und des Königs von Preußen kann ihren Zweck nur
dann voll erreichen, wenn sie ihre Ergänzung und Stütze findet
in der personellen Union des Reichskanzlerpostens mit der Stelle
des in Preußen leitenden und insbesondere für die Haltung Preußens
im Bundesrat verantwortlichen Ministers.
Die Forderung geht dahin: der Reichskanzler muß jedenfalls und
stets zugleich preußischer Minister der auswärtigen Angelegenheiten sein.
Alsdann fällt die Bestimmung über das Verhalten Preußens im Bundesrate
in sein Ressort; er ist es, nicht ein von ihm verschiedener oder gar ihm
übergeordneter Dritter, der die preußischen Bundesratsstimmen instruiert, er
empfängt als Vertreter Preußens im Bundesrate seine Instruktionen „nicht
unter fremder Verantwortlichkeit, sondern nur unter der eigenen als preußi-
schen Ministerg des Auswärtigen“k,
k So, durchaus zutreffend, Bornhak im ArchÖfR 26 333. Für den Ge-
danken, daß der Reichskanzler stets zugleich preußischer Minister des Aus-
wärtigen sein müsse, hat sich auch Bismarck wiederholt eingesetzt: vgl die
G. Meyer-Anschütz, Deutsches Staatsrecht. II. 7. Aufl. 94