Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Die Organe. $ 135. 20 
die ınm erteilten Instruktionen zu befolgen hat und seiner Regie- 
rung für diese Befolgung verantwortlich ist. Der einfachen An- 
wendung dieses Grundsatzes auf den Reichskanzler steht jedoch 
dessen Eigenschaft als Reichsminister (unten Nr. 2) entgegen. 
Solange diese Eigenschaft dem Kanzler noch nicht zugedacht war, 
also im Stadium der Entwürfe der Nordd. BV, vor Annahme der 
lex Bennigsen (s. oben), konnte es allerdings, wie das ja auch 
tatsächlich der Fall war, im Plane liegen, den Kanzler der 
reußischen Staatsregierung, insonderheit dem für die Instruierung 
der preußischen Bundesratsstimme zuständigen Ressortminister, 
dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten, unterzuordnen. 
Nachdem aber der Kanzler in die Stellung eines verantwortlich 
leitenden und kontrasignierenden Bundesministers erhoben worden 
war, konnte es bei der ursprünglich beabsichtigten Abhängigkeit 
von einer preußischen Ministerialinstanz nicht verbleiben. Der 
Minister des Deutschen Kaisers kann der Regierung ıdes 
Königs von Preußen nicht untergeordnet, sondern muß deren 
Haupt und Leiter sein. Wer im Reiche Minister, und zwar nach 
der Verfassung oberster, führender Minister ist (s. u. 526), kann 
in Preußen nicht lediglich „Unterstaatssekretär für deutsche An- 
gelegenheiten“ (Ausdruck Bismarcks s. 0.523 Anm. d), sondern muß 
Minister dieser Angelegenheiten und damit befugt und berufen 
sein zur Wahrnehmung der Beziehungen Preußens zum Reich, 
insbesondere zur Erteilung bzw. verantwortlichen Gegenzeichnung 
der preußischen Bundesratsinstruktiionen. Er muß — dieses 
„Muß“ ist wie das soeben ausgesprochene als eine nicht zwar 
staatsrechtliche, wohl aber politische Notwendigkeit aufzufassen — 
darüber hinaus überhaupt eine maß- und ausschlaggebende Stellung 
innerhalb der preußischen Staatsregierung einnehmen. Denn nur 
dann ist gesichert, was im Reichsinteresse nicht entbehrt werden 
kann: die stete Einheitlichkeit der kaiserlichen und der preußi- 
schen Politik, Die von der Verfassung vorgeschriebene Identität 
des Kaisers und des Königs von Preußen kann ihren Zweck nur 
dann voll erreichen, wenn sie ihre Ergänzung und Stütze findet 
in der personellen Union des Reichskanzlerpostens mit der Stelle 
des in Preußen leitenden und insbesondere für die Haltung Preußens 
im Bundesrat verantwortlichen Ministers. 
Die Forderung geht dahin: der Reichskanzler muß jedenfalls und 
stets zugleich preußischer Minister der auswärtigen Angelegenheiten sein. 
Alsdann fällt die Bestimmung über das Verhalten Preußens im Bundesrate 
in sein Ressort; er ist es, nicht ein von ihm verschiedener oder gar ihm 
übergeordneter Dritter, der die preußischen Bundesratsstimmen instruiert, er 
empfängt als Vertreter Preußens im Bundesrate seine Instruktionen „nicht 
unter fremder Verantwortlichkeit, sondern nur unter der eigenen als preußi- 
schen Ministerg des Auswärtigen“k, 
k So, durchaus zutreffend, Bornhak im ArchÖfR 26 333. Für den Ge- 
danken, daß der Reichskanzler stets zugleich preußischer Minister des Aus- 
wärtigen sein müsse, hat sich auch Bismarck wiederholt eingesetzt: vgl die 
G. Meyer-Anschütz, Deutsches Staatsrecht. II. 7. Aufl. 94
	        
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