Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

520 Zweiter Teil. Zweites Buch. $ 185. 
Dieser Forderung ist bisher ununterbrochen genügt worden. 
Weitergehend muß verlangt werden, daß der Reichskanzler nicht bloß 
auf die bundesrätliche Tätigkeit, sondern auch auf die. gesamte übrige 
Politik Preußens einen maßgebenden Einfluß auszuüben imstande sei). 
Unter diesem Gesichtspunkt ıst dem Reichskanzler bisher fast immerm das 
Amt des Präsidenten des preußischen Staatsministeriums (Ministerpräsidenten) 
übertragen worden. Doch genügt diese Amtervereinigung dem bezeichneten 
Bedürfnis nur unvollkommen. Denn die Organisation der preußischen Staats- 
regierung beruht auf dem Grundsatz der Alleinherrschaft jedes Ministers 
innerhalb seines Ressorts. Diese Alleinherrschaft wird — staatsrechtlich — 
weder durch das Staatsministerium» noch durch den Ministerpräsidenten be- 
einträchtigt. Die Prärogativen des letzteren sind wesentlich formaler Natur: 
Vorsitz und Geschäftsleitung in den Versammlungen des Staatsministeriums. 
Das preußische Ministerpräsidium ist weniger ein Amt als eine Würde, 
deren faktische Bedeutung lediglich von der Persönlichkeit abhängt, der sie 
übertragen ist. Ein Recht, seinen Willen den einzelnen Ressorts pegen- 
über zur Geltung zu bringen, hat der Ministerpräsident nicht. Will man 
seinen und damit des Reichskanzlers Einfluß auf das Ganze der preußischen 
Staatspolitik in dem wünschenswerten Maße steigern, so wird man nicht 
umhin können, ihm dieses Recht zu verleihen, m. a. W. die preußischen 
Ressortminister zu dem Ministerpräsidenten in das gleiche Verhältnis zu 
setzen, wie es im Reiche zwischen den einzelnen Ressortchefs (den Vor- 
ständen der obersten Reichsämter, s. u. $ 136) und dem Reichskanzler schon 
jetzt besteht: das Verhältnis dienstlicher Unterordnung. 
Reden im verfassungsberatenden Reichstage vom 26. und 27. März 1867 und 
später u. a. in einem von ihm veranlaßten Artikel der „Hamburger Nach- 
richten“, März 1892, mitgeteilt von v. Roöll und Epstein, Bismarcks StR, 
65 ff., 66, 68. Vgl. auch Anschütz, Enzykl. 110, 111 und in der Voraufi. 459, 
460. Meine dort ausgesprochene, mit dem Text übereinstimmende Ansicht 
findet Rosenthal a.a.0. 31 Anm. 3, 57 „zu formalistisch“. „Die Instruktion 
der preußischen Bundesratsbevollmächtigten erfolgt in allen wichtigen Fragen 
nur auf Grund eines Beschlusses des Staatsministeriums.“ Hier wird zu- 
nächst übersehen, daß die behauptete Behandlung der Bundesratsinstruktionen 
im Staatsministerium durch keine gesetzliche oder anderweite Vorschrift ge- 
boten ist. Allerdings ist sie üblich, aber nicht im Sinne einer Beschluß- 
fassung, sondern nur als Beratung. Rosenthal verkennt die rechtliche 
Natur des preußischen Staatsministeriums und seiner „Beschlüsse“. 1. 
hierüber oben $ 108 S. 402. Das Staatsministerium ist ein beratendes Kolle- 
ium, seine „Beschlüsse“ wollen und können lediglich feststellen, was die 
einung der Mehrheit des Kollegiums ist. Diese Mehrheit ist keine dem 
einzelnen Ressortminister übergeordnete Instanz. Sie kann ihm nichts vor- 
schreiben und seiner alleinigen Verantwortlichkeit für die Angelegenheiten 
seines Wirkungskreises keinen Abbruch tun. . 
I Gleicher Meinung Haenel, Studien 2 60: „Denn allerdings nur im 
Einklange der wesentlichen, der leitenden Gesichtspunkte der deutschen und 
preußischen Politik innerhalb und außerhalb der verfassungsmäßig ab- 
Begrenzten Kompetenzen kann das Reich nicht nur die Kraft fördersamer 
ntwicklung, sondern selbst die Bedingungen seiner Aufrechterhaltung ge- 
winnen. _ 
m Getrennt waren die beiden Amter des Reichskanzlers und des 
preußischen Ministerpräsidenten bisher nur zweimal: 1873, als Bismarck, 
und 1892—1894, als Caprivi zeitweilig vom Ministerpräsidium zurücktrat. 
Vgl. Rosenthal, a. a. O. 31 Anm. 1, 2. 
n Vgl. oben Anm. k. 
0 Dieser Gedanke ist in der Literatur zuerst von Preuß a. a. O. 446, 
447 ausgesprochen worden. Anschütz in: Die Arbeiterschaft im neuen 
Deutschland (berausg. vom Thimme und Legien, 1915), 51, 52.
	        
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