532 Zweiter Teil. Zweites Buch. $ 135a.
Der Reichskanzler bleibt seinen Stellvertretern über-
geordnet. Es ist ihm vorbehalten, auch während der Dauer
einer Stellvertretung jede Amtshandlung selbst vorzunehmen !%,
Diese Befugnis besitzt er sowohl gegenüber dem Generalstell-
vertreter als gegenüber den Spezialstellvertretern. Dagegen geht
dieselbe nicht auf den Generalstellvertreter über, wenn neben ihm
besondere Spezialstellvertreter bestellt sind?®, Vielmehr üben diese
die übertragenen Befugnisse durchaus unabhängig, lediglich in
Unterordnung unter den Reichskanzler und ohne Konkurrenz des
Generalstellvertreters aus. Zur Gegenzeichnung von Gesetzen sind
sowohl der Generalstellvertreter als die Spezialstellvertreter befugt,
letztere selbstverständlich nur dann, wenn die Gesetze in ihren
Verwaltungsbereich fallen.
Die Befugnis des Reichskanzlers, den Vorsitz und die Leitung
der Geschäfte im Bundesrate kraft schriftlicher Substitution auf
jedes andere Mitglied des Bundesrates zu übertragen, ist durch
das Gesetz vom 17. März 1878 nicht berührt worden!®. Ebenso
bleibt der Reichskanzler berechtigt, mit seiner Vertretung in
laufenden Geschäften andere Reichsbeamte durch geschäftliche An-
ordnungen zu betrauen. —
Die Behördenorganisation des Deutschen Reiches hat die
Eigentümlichkeit, daß die notwendige Einheitlichkeit der Ver-
waltung nicht durch einen kollegialisch organisierten Ministerrat,
sondern durch die Person des leitenden Staatsmannes hergestellt
wird”,
14 RG vom 17. März 1878 $ 8. [BRosenthal, a. a. O. 62 will die fort-
dauernde Überordnung des Reichskanzlers nur mit einer Einschränkung
gelten lassen: dem Reichskanzler stehe nur ein „Veto- bzw. ein Abände-
rungsrecht* bezüglich der Entscheidungen der Stellvertreter zu; dagegen
seien die Stellvertreter nicht verpflichtet, „positiven Anweisungen des
Kanzlers bezüglich des Inhalts seiner Anordnungen Folge zu leisten“, da
sie unter eigener Verantworturg zu bandeln haben. — Das ist ganz un-
begründet und dem Wortlaut wie der Absicht des Gesetzes entgegen. Die
Unterordnung des Stellvertreters unter den Kanzler ist eine unbedingte; die
„eigene Verantwortung“ des Stellvertreters besteht nur soweit und solange
als der Kanzler nicht ın die Tätigkeit des Vertreters eingreift.)
18 [A.M. Smend, a. a. 0: 337, 388 und Rosenthal, a.a. 0.41. Letzterer
gibt übrigens zu, daß das von ibm behauptete Eingriffsrecht des General-
stellvertreters „in der Praxis nicht zur Anwendung kommt.“]
16 RG vom 17. März 1878 84. Vgl. oben $ 124 N. c und $ 195a N. 7.
Auch der $ 124 8.489 behandelte Anspruch Bayerns auf den stellvertreten-
den Vorsitz ist durch das Gesetz völlig unberührt geblieben. Vgl. die Ver-
handlungen darüber in der Reichstagssitzung vom 9. März 1878 (Sten. Ber.
420). — Die Behauptung, daß die Bestimmung des Art. 15 den ganzen Ge-
schäftsbereich des Reichskanzlers umfasse, ist von Joel, a. a. U. 794 auch
nach Erlaß des StellvG aufrechterhalten worden, obwohl sie nunmehr als
völlig unbaltbar erscheint. Mit ihm übereinstimmend: P, Hensel, a. a. O.
56 und 57. Vgl. dagegen auch die N. 3 zitierten Schriftsteller.
17 (Vgl. hierüber und die anschließenden politischen Fragen Rosenthal,
a. a. 0. 62 ff.)