Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Die Organe. $ 1838. 541 
und mit Entstehung des deutschen Reichs®, in den Besitz des 
letzteren gebracht. Die Anerkennung dieser Tatsache durch 
die Friedensschlüsse mit Frankreich (Vorfrieden von Versailles, 
26. Februar 1871, endgültiger Friede von Frankfurt a.M., 10. Mai 
1871) bedeutete zugleich eine Novation des völkerrechtlichen Er- 
werbstitels: an Stelle der Okkupation und Eroberung trat die 
vertragsmäßige Abtretung (Zession).. Damit war Elsaß-Lothringen 
dem Reiche völkerrechtlich erworben und es entstand nun die 
Frage, wie die Erwerbung dem Reiche staatsrechtlich anzugliedern 
sei. Dreierlei war möglich: Formierung eines neuen Einzelstaates 
aus dem erworbenen Gebiet, Vereinigung desselben mit einem 
oder mehreren der bestehenden Einzelstaaten, Stellung des Landes 
unter die ausschließliche und unmittelbare Herrschaft der Reichs- 
gewaltd. Die beiden ersteren Wege hätten an einer grundsätzlichen 
Neuerung in den bestehenden bundesstaatlichen Verhältnissen des 
Reichs vorbeigeführte; man verwarf sie schließlich beide zugunsten 
des dritten, welcher eine Neuerscheinung brachte: die Erstreckung 
der Reichsgewalt über ein Gebiet, welches sie allein beherrscht, 
ohne, wie sonst überall, eine Einzelstaatsgewalt neben und unter 
sich zu haben. 
Die Einbeziehung des Landes in das Reichsgebiet (RV Art. 1) 
erforderte ein verfassungänderndes Reichsgesetzf. Dieses erging 
in Gestalt des Gesetzes betr. die Vereinigung von Elsaß und Loth- 
ringen mit dem Deutschen Reiche am 9. Juni 18718. In der Be- 
gründung dieses Gesetzes wie auch bei der Beratung desselben 
im Reichstag wurde wiederholt unzweideutig und unwidersprochen 
zum Ausdruck gebracht, daß man nicht beabsichtige, aus der Neu- 
erwerbung ein selbständiges Staatswesen mit eigener Herrschafts- 
gewalt zu machenh; Elsaß-Lothringen sollte weder einen eigenen 
Einzelstaat bilden noch Teil eines bestehenden Einzelstaates sein, 
keiner Partikulargewalt, sondern lediglich dem Reiche gehören. 
Für die gewollte Eigenart fand man das Wort „Reichsland“i, Die 
Staatsgewalt im Reichslande sollte keine von der Reichsgewalt im 
Subjekt verschiedene, sondern die Reichsgewalt sein, und 
wenn es im $ 1 des Vereinigungsgesetzes vom 9. Juni 1871 heißt: 
„Die Staatsgewalt in Elsaß und Lothringen übt der Kaiser aus“, 
c Oben $ 67. 
d Oben 241, 242. 
e Erörtert wurde insbesondere der zweite Weg. Vgl. Schoenborn, 
JahrbOfR 6 223 ff. 
f Oben 240. 
8 Der $2 des RG betr. Einführung der Verf. in Elsaß-Lothringen vom 
25. Juni 1873: „Dem in Art. 1 der RV bezeichneten Bundesgebiete tritt das 
Gebiet des Reichslandes Elsaß-Lothringen hinzu“ war eine überflüssige 
Wiederholung. 
b Nähere Angaben bei Laband 2 212 N. 4; vgl. auch Schoenborn 
a. a. 0. 226 ff. 
i Laband 2 212. 
G. Meyer-Anschätz, Deutsches Staatsrecht. II. 7. Aufl. 35
	        
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