Einleitung. $ 14. 49
Der Begriff des Bundesstastes — abgezogen vornehmlich von
den drei wichtigsten Verkörperungen, die er in der modernen
Staatengeschichte gefunden hat: den Vereinigten Staaten von Nord-
amerika, der Schweiz, dem Deutschen Reich — zeigt drei wesent-
liche Merkmale: 1. Staatlichkeit des Ganzen, d. h. des Bundes;
2. Staatlichkeit der Glieder; 3. bündische (korporative, genossen-
schaftliche) Vereinigung der Glieder zum Ganzen. Das bedeutet
im einzelnen: ein Bund von Staaten, welcher Bundesstaat sein
und heißen will, muß ein seinen Gliedern gegenüber selbständiges,
ihnen übergeordnetes Staatswesen darstellen; sein Wille muß die
Eigenschaft einer wahren Staatsgewalt besitzen. Besitzt er diese
Eigenschaft nicht, so ist die betreffende Staatenverbindung keine
staats-, sondern eine völkerrechtliche: kein Bundesstaat, sondern
ein Staatenbund. Die Gliedstaaten (Einzelstaaten) müssen trotz
der Unterordnung unter die Bundesgewalt und dem dadurch be-
dingten Verlust ihrer Souveränetät Staaten, d. h. Gemeinwesen
mit eigenständiger Herrschaft über ihre Untertanen # geblieben sein;
— andernfalls würde der „Bundesstaat“ in Wahrheit kein solcher,
überhaupt keine Staatenverbindung, sondern ein Einheitsstaat b
sein. Endlich muß die Struktur der Verbindung und des Ver-
hältnisses zwischen der Gesamtheit und ihren Gliedern eine
bündische, eine genossenschaftlich-korporative sein. Bündisch
ist gleichbedeutend mit genossenschaftlich: das genossenschaftliche
Moment kommt aber darin zum Ausdruck, daß die Gliedstaaten,
Untertanen und zugleich Mitinhaber der Bundesgewalt, bei der
Bildung der letzteren, des Bundeswillens, nach Maßgabe der
Bundesverfassung beteiligt sind. Ein Gesamtstaat, welcher seine
Gliedstaaten nur unterwirft, ohne sie bei der Bildung seines Willens
zu beteiligen, wäre eine Staatenverbindung vom Typus des Herr-
schaftsverbandes, ein Staatenstaat im engeren Sinne®, aber kein
Genossenschaftsverband, kein Bundesstaat.
So kann man definieren: Der Bundesstaat ist ein Ge-
samtstaat, genossenschaftlich zusammengefügt aus
einfachen Staaten, die einerseits ihm unterworfen,
anderseits an der Bildung seines Willens beteiligt
sindd.
s Vgl. oben $3S 13f.
b Vgl. oben S 2 S. 11 ff.
e Vgl. oben $ 12 8. 45.
d Die in dieser Begrifisbestimmung ausgedrückte Ansicht, daß die
Essentialien des Bundesstaats in der Staatlichkeit des Bundes, der Staatlich-
keit.der Glieder und der Beteiligung der Glieder bei der Bildung des Bundes-
willens liegen, ist die heute herrschende. Vgl. Laband, St.R. 1 60 ff.; Jellinek,
System 295 und (weniger klar) Staatal. 769, 773. 774; Loening, Handwörterb.
a.a.0. 7 725; Zorn, 7.StaatsW. 87 317, Ann.D.R. (1884) 461, St.R. 1 73, 87 ft.;
Rehm, Unitarismus und Föderalismus in der deutschen R.-V. (1898); Staatsl. 86
(anders freilich Staatsl 1907 43); Anschütz, Enzyklop. 16, 17, 64ff.; Bis-
marck und die R.-V. (1899) 12 ff.; ferner: v. Treitschke, Politik 2 325; Mejer,
Einleitung 23; Brie, GrünhutsZ. 11 155 ff. und Staatenverbindungen 80 ff.,
116 ff.; Bake, Beschouwingen over den Statenbond en den Bondsstaat (1881)
G. Meyer-Anschütz, Deutsches Staatsrecht. I. 7. Aufl. 4