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der Bundesgewalt. Verursacht war der in dieser Behauptung
liegende Irrtum durch die Beobachtung, daß Zentralgewalt und
Gliedstaatsgewalten des Bundesstaates sich allerdings in etwas
„teilen“, nämlich in die Gesamtheit der staatlichen Aufgaben und
Hoheitsrechte: in die staatliche Kompetenz. So ist im heutigen
Deutschen Reiche das Ganze der Kompetenz, welches dem deutschen
Einheitsstaate zustehen würde, wenn das Reich ein Einheitsstaat
wäre, zwischen der Reichsgewalt und den 25 Einzelstaatsgewalten
verteilt (unten $ 80)k. Das ist aber eben nur Verteilung der
Bundesstaatsbegrift, 2.StaatsW. (1872) 185 ff. (mit andern einschlägigen Arbeiten
zusammen wieder abgedruckt in Seydels staatsrechtl. und polıt. Abhand-
lungen 1893) sowie Kommentar zur R.-V. 1ff.; Seydels Opposition gegen
den Gedanken der geteilten Souveränetät ist übrigens nicht völlig originell,
sie fußt, wie Seydel selbst weiß und anerkennt, auf Calhoun (Works 1 146
Sovereignty is an entire thing, to divide, is — to destroy it“). Jener Ge-
danke ist heute völlig aufgegeben; vgl. insbes. Laband, St.R. 1 62 ff., Zorn,
SER.167ff.; Haenel, St.R. 1 204 fl.; v. Treitschke, Politik 2 321. — In seiner
Polemik gegen Waitz hatte Seydel Recht; Unrecht aber, wenn er glaubte,
mit der Irrlehre von der geteilten Souveränetät den Begriff des Bundesstaates
schlechthin überwunden zu haben und so zu der Folgerung gelangte, daß
alle politischen Gebilde, die man als Bundesstaaten bezeichnet, entweder
Staatenbünde oder Einheitsstaaten seien, daß insbesondere das Deutsche
Reich ein Staatenbund sei. Dieser Irrtum Seydels ist durch den anderen
veranlaßt, daß Seydel die Souveränetät für ein wesentliches und unentbehr-
liches Merkmal des Staates erklärt: vgl. oben $ 1 Anm. 6, 7. Die richtige
Orientierung vollzog Laband, indem er einerseits die Unteilbarkeit der
Souveränetät zugab, andererseits die Souveränetät aus dem Kreise der
Essentialien des Stastsbegriffs ausschied und als dasjenige Moment, welches
den Staat vom Nichtstaat (insbesondere vom innerstaatlichken Kommunal-
verband) trennt, die Eigenständigkeit des Herrschaftsrechts bezeichnete: vgl.
oben $ 1 S. 7 Anm.b. Damit war der Begriff des Bundesstaates wiederum
sichergestellt und einer Anschauung zum Siege verholfen, welche allein den
‚deutschen politischen Verhältnissen vollkommen gerecht wird. Die Wirklich-
keit dieser Verhältnisse fordert von der Wissenschaft einen Staatsbegriff,
welcher sowohl auf die nationale Gesamtheit, das Reich wie auf die parti-
kularen Glieder dieser Gesamtheit, die Einzelstaaten (Länder) paßt; welcher
die letzteren nicht als Kommunalverband, das Reich nicht als Einheitsstaat,
aber auch nicht als Staatenbund erscheinen läßt (Anschütz, Histor. Ztschr.
(1901) 326 ff., Enzyklop. 64). Dieser Forderung hat erst Laband vollkommen
Genüge geleistet: eine epochemachende Tiat.
Die Behauptung, daß im Bundesstaate der volle Staat nicht in der
Gesamtheit und nicht in den Gliedstaaten, sondern in der Totalität beider
zum Ausdruck komme (Haenel, Vertragsmäßige Elemente 63; Bornhak, Allg.
Staatsl. 255) oder daß der Gesamtstaat und die Einzelstaaten in ihrer Zu-
sammengehörigkeit das Subjekt der Staatsgewalt bilden (Gierke in Schmollers)J.
7 1168), besagt nur, daß im Bundesstaate zur Erfüllung derjenigen Aufgaben,
welche im Einheitsstaate dem Staate obliegen, sowohl eine Tätigkeit des
Bundes als eine solche der Einzelstaaten erfordert wird. Dagegen enthält
die Theorie keinerlei maßgebende Gesichtspunkte für die Bestimmung der
im Bundesstaate einander gegenüberstehenden Rechtssubjekte — Bund und
Einzelstaaten — und ihrer Kechtsbeziehungen zueinander, auf welche es
erade für die juristische Konstruktion des Bundesstaates wesentlich an-
ommt. Auch die zur Erklärung des Verhältnisses erfolgte Heranziehung
der Analogie des Gesamteigentums (Gierke a, a. O. 1170 u. 117I), eines außer-
ordentlich zweifelhaften und sehr bestrittenen Begriffes des älteren ger-
manischen Rechtes, erscheint nicht glücklich und ist doppelt auffällig bei
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