Einleitung. $ 14. 53
verschieden gestaltet. Im Deutschen Reiche geschieht die Ab-
änderung der Reichsverfassung und damit die Erweiterung der
Reichskompetenz durch die gesetzgebenden Organe des Reicheso,
In den republikanischen Bundesstaaten Nordamerikas und der
Schweiz besteht eine besondere verfassunggebende Gewalt, welche
in der Schweiz durch die Kantone und die Schweizerbürger, in
den Vereinigten Staaten durch den Kongreß bzw. Verfassungs-
konvent und die Einzelstaaten repräsentiert wirdp. Dieser Gewalt
steht auch die Regulierung der Kompetenzen zu. Sie erscheint
als Vertreterin des souveränen nordamerikanischen und schwei-
zerischen Volkes und ist als die höchste Gewalt innerhalb der
Union und der Schweiz anzusehen, welcher sowohl die Organe
des Bundes als die der Einzelstaaten unterworfen sind.
Die Staaten im Bundesstaate sind nicht souveränr. Sie
sind der Bundesgewalt als einer über ihnen stehenden Gewalt
unterworfen. Sie besitzen aber auch ihren Untertanen gegenüber
nicht mehr die Fülle staatlicher Hoheit und Macht; diese ist durch-
brochen durch die Kompetenz der Bundesgewalt. Allerdings be-
schränkt sich die Unterwerfung der Staaten unter die Bundes-
gewalt zunächst auf die Gebiete der Bundeskompetenz. Sie be-
steht aber auch außerhalb dieser Gebiete, da allein die Bundes-
gewalt sich in der Lage befindet, ihre Kompetenz selbst zu er-
weitern. Die Souveränetät im Bundesstaate steht also lediglich
dem Bunde zu.
oR.V. Art. 78.
p Eine Abänderung der Verfassung der Vereinigten Staaten erfordert
die Zustimmung des Kongresses oder Verfassungskonventes der Vereinigten
Staaten und die Zustimmung von drei Vierteln der gesetzgebenden Ver-
sammlung oder Verfassungskonvente der Einzelstaaten (Verf. der Vereinigten
Staaten Art. 5). In der Schweiz ist zur Abänderung der Bundesverfassung
die Zustimmung der Mehrheit der Schweizerbürger und der Mehrheit der
Kantone erforderlich (Revidierte Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 Art. 121).
Vgl. Haenel, StR. 1 783 fl.
a4 Die Annahme einer besonderen verfassunggebenden Gewalt ist eine
Eigentümlichkeit des nordamerikanischen Staatsrechtes, welche nicht bloß
in der Union, sondern auch in den Einzelstaaten vorkommt. Vgl. $8 S. 31.
Jellinek, Staatsl. 519 f., 537.
r Die ältere Theorie schrieb den Einzelstaaten im Bundesstaate Souve-
ränetät zu (Waitz, Politik 166; H. A. Zachariä, St.R. 1 [$ 27] 101). Diese
Ansicht wird jetzt noch vertreten von Dantscher v. Kollesberg, Der monar-
chische Bundesstaat Österreich-Ungarn 330 ff., und v. Sarwey, Württemb.
Stastsr. 1 37 ff. — Heute überwiegt dagegen die Ansicht, daß im Bundes-
staate nur der Bund, nicht die Staaten souverän seien; vgl. oben Anm. &
und Laband, St.R. 1 59, 64; v. Treitschke, Bund und Reich 527, Politik
1 39, 40, 2 325; Zorn, St.R. 1 70, Z.StaatsW. 87 314; Haenel, St.R. 1 802;
Liebe, Staatsrechtl. Studien 41; Jellinck, System 305, Staatsl. 770; Kehm,
Staatsl. 105; Mejer, Einleitung 25: Brie, Theorie der Staatenverbindungen
112; Borel, Etude sur la souverainet& 74; Le Fur, Etat Federal 590 ff.,
680 fi.; Combothecra, in der Revue de droit public 8 280. v. Stengel,
SchmollersJ. [1898] 1139 ff.) hält die Staaten im Bundesstaate für souverän,
versteht darunter aber, wie schon $ 1 N. 6 bemerkt ist, nur eine relative
Selbständigkeit.