Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

652 Zweiter Teil. Drittes Buch. $ 157. 
die des Landtags so sehr, daß man ihn wohl als Herrn des Gesetz- 
gebungsgeschäfts bezeichnen darf. Der Monarch gibt, er erläßt 
das Gesetz, nachdem der Inhalt desselben vom Landtage gutgeheißen 
ist. Der Wille der Legislative ist der Wille des Monarchen, welcher 
die Zustimmung der Volksvertretung in sich aufgenommen hat. 
Die hiermit bezeichnete Tätigkeit des Monarchen, das Erlassen 
des Gesetzes nach erfolgter Zustimmung des Landtags, heißt im 
Sprachgebrauch der Wissenschaft? die Sanktion® des Gesetzes.] 
[Die Bestimmungen der Verfassungen, nach welchen die 
gesetzgebende Gewalt von Monarch und Landtag gemeinschaftlich 
ausgeübt bzw. „zu jedem Gesetz“ die Zustimmung des Land- 
tags erfordert wird&, verstehen die Worte „Gesetz“, „gesetzgebende 
2 Dem amtlichen Sprachgebrauch ist das Wort Sanktion meist fremd; 
nur einzelne Verfassungen kennen es, z. B. die bayerische, Tit. VIL $ 30, 
Württ. Verf. $ 172 Abs. 2. 
8 Näheres s. unten $ 158 S. 662. 
s So z. B. Württ. Verf. $ 88: „Ohne Beistimmung der Stände kann 
kein Gesetz gegeben, aufgehoben, abgeändert oder authentisch erläutert 
werden“, Sächs. erf.$ 86: „Kein Gesetz kann ohne Zustimmung der Stände 
erlassen, abgeändert oder authentisch interpretiert werden“, vor allem aber 
Preuß. Verf. Art. 62: „Die gesetzgebende Gewalt wird gemeinschaftlich 
durch den König und durch zwei Kammern ausgeübt. Die Übereinstimmung 
des Königs und beider Kammern ist zu jedem Gesetze erforderlich.“ In 
diesen und den analogen Bestimmungen anderer Verfassungen, z. B. Hess. 
Verf. Art. 72, ist überall der materielle Gesetzesbegriff unterstellt und 
insbesondere bedeutet „gesetzgebende Gewalt“ im Abs. 1 des Art. 62 der 
Preuß. Verf. „rechtsetzende Gewalt“: so die herrsch. Meinung, vgl. die 
zusammenfassende Darstellung bei Anschütz, Gegenw. Theorien 15 ff., 28 ff, 
135 ff., (auch Enzykl. 153 ff., WStVR 2 214, 215) dem Hubrich in AnnDR 
1904 847 f£., 1907 81, 82, VerwArch 16 389 f., 513ff., 17 43 ff., Preuß. StR 
(1909) 114 ff, ArchOffR 20 106 ff., Das Reichsgericht über den Gesetzes- und 
Verordnungsbegritf nach Reichsrecht (1905) mit selbständiger Begründung 
folgt. Die Richtigkeit dieser Auslegung ergibt sich aus der allgemeinen 
Erwägung, daß beim Erlaß der konstitutionellen Verfassungen überhaupt 
nur ein Begriff des Gesetzes existierte: derjenige, welcher dem jetzigen 
Begriff des Gesetzes im materiellen Sinne entspricht. Dieser Begriff, 
der sowohl in der Literatur (vgl. die Nachweisungen bei G. Meyer, Begriff 
des Gesetzes a. a. O. 15ft.) als in den Gesetzbüchern namentlich im preuß. 
ALR anerkannt war, ist bei Abfassung der betreffenden Verfagsungsbeetim- 
mungen maßgebend gewesen und muß daher der Interpretation derselben 
zugrunde gelegt werden. Zum Vorstehenden, namentlich über den materiellen 
Gesetzesbegriff im vorkonstitutionellen Staatsrecht Preußens vgl. Rosin, 
Polizeiverordnungsrecht 33; Anschütz, a.a. O0. 122 ff., 160; Hubrich, AnnDR 
1404 775 ff, 829 #.; VerwArch 16 389 ff., 441 ff., 513fl., 17 48 t., 55. Die Über- 
tragung des materiellen Gesetzesbegriffes aus dem absoluten auf den kon- 
stitutionellen Staat und die Notwendigkeit, den Art. 62 der Verf. im Sinne 
jenes Begriffes auszulegen, folgt für Preußen insbesondere aus der k. Ver- 
ordnung über einige Grundlagen (der preußischen Verfassung, vom 6. April 
1848 8 6. Wenn es dort heißt: „den künftigen Vertretern des Volkes soll 
jedenfalls die Zustimmung zu allen Gesetzen zustehen“, so muß das 
ort „Gesetz“ in irgend einem materiellen Sinne gemeint sein, denn 
die konstitutionelle Verfassung und ihr formeller Gesetzesbegriff bestanden 
ja zur Zeit der V. vom 6. April 1848 noch nicht. Welcher materielle Ge. 
setzesbegriff aber liegt der V. vom 6. April 1848 zugrunde: der der all- 
gemeinen Rechtslehre, oder der des vorkonstitutionellen preußischen Staats-
	        
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