Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

658 Zweiter Teil. Drittes Buch. $ 157. 
Bei zusammenfassender Betrachtung ergibt sich: Die Gegen- 
stände der formellen Gesetzgebung, d. h. diejenigen 
Angelegenheiten, für deren Regelung die Legislative ausschließlich 
zuständig und der Verordnungsweg infolgedessen nur auf Grund 
besonderer formellgesetzlicher Bestimmung zulässig ist, sind in 
allen konstitutionell-monarchischen Staaten des Deutschen Reiches 
dieselben. Es gilt in dieser Hinsicht übereinstimmendes Recht. 
Danach ist Gegenstand der Gesetzgebung, — ein formelles Gesetz 
also notwendig: 
1. Zum Erlaß neuer Rechtsnormen (Normen, welche die Frei- 
heit oder das Eigentum der Individuen betreffen), mit Ausnahme 
derer, welche kraft formellgesetzlicher Ermächtigung auf einem 
andern Wege, insbesondere dem der Verordnung, erlassen werden 
dürfen. Dies ist oben 647, 652ff. dargelegt worden; 
2. zur Abänderung, Aufhebung und authentischen Inter- 
pretation aller bestehenden formellen Gesetze, einschließlich 
der Verfassung. Dies folgt aus der formellen Gesetzeskraft 
(oben 645); 
De  — 
für Preußen 1823—1848 Arndt, ArchÜffR 17 573 ff). Indessen hat sich das, 
was hier (und von F. Rosin, a.a.0. 7ff.) als weite Auslegung der Freiheit- 
und Eigentumformel bezeichnet wird, und damit die Überzeugung von der 
undsätzlichen Notwendigkeit der Gesetzesform für jede Anderung der 
echtsordnung des Landes (im Gegensatz zur Verwaltungsordnung, ins- 
besondere der Behördenorganisation) überall in steigendem Maße und schließ- 
lich vollständig Geltung verschafft, sodaß die Staatspraxis in Bayern und 
Baden von der preußischen, württembergischen, sächsischen gegenwärti 
nicht mehr abweicht (vgl. auch Thoma, Vorbehalt des Gesetzes [a. a. 0] 
176). Thoma und F. Rosin wollen hierin eine „Verfassungswandlung“, ein 
verfassungsänderndes Gewohnheitsrecht erblicken. M. E. ıst das nicht zu- 
treffend; es handelt sich lediglich um das allmähliche Durchdringen einer 
von Anfang an richtigen Auslegung der Verfassungen und ihrer Freiheit- 
und Eigentumformel. Aber wie dem sei, jedenfalls hat die Streitfrage über 
den Sinn der Formel heute ihre praktische Bedeutung verloren. Der Vor- 
behalt des Gesetzes reicht in Preußen nicht weiter als in Bayern oder Baden. 
Er erstreckt sich hier wie dort auf das Gesamtgebiet der Rechtssetzung, 
auf den Erlaß solcher Normen aber, welche olıne in Freiheit und Eigentum 
einzugreifen, nur die Einrichtung und das Verfahren der Staatsorgane regeln, 
dort ebensowenig wie hier (a. M. hierin Haenel und Preuß, a. a. O., vgl. 
auch unten $ 159 N. 5). — Es mag schließlich noch hervorgehoben werden, 
daß die Gleichung Gesetz = Rechtssatz = Norm, welche Freiheit und Eigen- 
tum der Individuen betrifft, schon dem preuß. ALR zugrunde liegt (Anschütz, 
Gegenw. Theor. 122 ff., 162ff.; a. M. freilich Hubrich, VerwArch 16 441 ff,), 
daß bei der Revision der preußischen Verfassung 1849/50 der Vorbehalt des 
Gesetzes, ohne daß man die Freiheit- und Eigentumformel annahm, doch, 
von Seiten der Regierung wie der Kammern, ganz im Sinne der Formel um- 
schrieben wurde (Änschütz, a.a.0O. 136 ff., — und daß, als man in Württem- 
berg und Sachsen bei Beratung der dortigen Verfassungen die in den Ent- 
würfen enthaltene Freiheit- und Eigentumformel verwarf (oben 656 Anm.b) 
und durch die Wendung ersetzte, daß ohne Zustimmung des Landtags „kein 
Gesetz“ erlassen werden dürfe, hiermit keine Anderung, sondern nur eine 
Klarstellung des mit der Formel Gewollten beabsichtigt war. 
(vgl. für Bayern Seydel (2. Aufl.) 2 321, für Baden F. Rosin, a. a. O. 88 ff.
	        
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