Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

696 Zweiter Teil. Drittes Buch. $ 164. 
Zur Begründung seiner Ansicht beruft G. Meyer (ebenso auch Bähr) sich 
auf die Entstehungsgeschichte des Norddeutschen Bundes und auf die Ein- 
Rangsworte der RV, auf beides; wie oben und S. 195 ff. gezeigt, mit Unrecht. 
ei Seydel und O. Mayer erscheint die Lehre von den vertragsmäßigen 
Grundlagen als einfacher Ausdruck ihrer Anschauungen über die rechtliche 
Natur des Reiches als eines Vertragsverhältnisses (vgl. oben $ 71 Anm. 2). 
die einzige Zuständigkeit dieser Art; die Machtbefugnis, das Gebiet seiner 
Einzelsjaaten auch noch in anderen Fällen, zu anderem Zwecke als zu dem 
eines Friedenschlusses, an das Ausland „bzutreten, besitzt das Reich der- 
malen nicht, es würde sie sich freilich jederzeit durch einen Akt der Kompetenz- 
Kompetenz, im Wege des Art. 78 Abs, 1 zusprechen können. Solange als 
dies nicht geschehen, kann sich die Abtretung nicht reichsunmittelbaren 
Gebietes an das Ausland. den Fall des Friedensschlusses immer ausgenommen, 
korrekterweise nur so vollziehen, daß der betreffende Einzelstaat mit dem 
ausländischen Staate einen entsprechenden Vertrag abschließt, dem dann das 
Reich — unter Beobachtung der Formen der Verfassungsänderung (wegen 
Art. 1 RV) — genehmigend beitritt. So auch die Staatspraxis: die zwischen 
Baden und der Schweiz abpeschlossenen Verträge, betretfend Grenzregulie- 
zungen am Bodensee (bei Konstanz) und bei Basel vom 28. April 1878 und 
21. Dezember 1906 sind durch Verträge des Reiches mit der Schweiz vom 
24. Juni 1879 und 29. Oktober 1907 „für das Reich als rechtsgültig anerkannt“ 
worden. Die beiden Reichsverträge wurden von den gesetzgebenden Fak- 
toren, Bundesrat und Reichstag, genehmigt; es muß vorausgesetzt werden, 
daß der Bundesrat hierbei Art. 78 Abs. 1 nicht außer acht gelassen hat (vgl. 
auch RGes v. 31. Juli 1908, RGBl 497). Ebenso hat das Reich durch die — 
materiell verfassungändernden — Gesetze vom 22. Januar 1902 (RGBl 31, 32) 
seine „Zustimmung” dazu erteilt, daß Preußen gewisse Gebietsparzellen an 
Österreich und Dänemark abtrete (vgl. Anschütz, Enzykl. 79, 80). 
Was G. Meyer über Veränderung der Binnen- (Gegensatz: Auslands‘) 
Grenzen der Einzelstaaten und über die Begründung von Personal- un 
Realunionen zwischen deutschen Einzelstaaten sagt, ist unzweifelhaft zu- 
treliend. Gibt man aber zu, daß die Einzelstaaten sich, ohne der Erlaubnis 
des Reichs zu bedürfen, mit anderen Einzelstaaten personell oder real unieren 
können (Präzedenzfall hierfür: die Union zwischen den beiden Schwarzburg, 
vgl. oben 43 Anm. d), so erscheint es nur folgerichtig, den Staaten auch das 
Recht zuzugestehen, die Realunion zur vollständigen Verschmelzung (Fusion, 
Inkorporation) zu steigern. Wie in solchem Falle die Zustimmung des 
Reiches nicht erforderlich wäre, so auch nicht dann, wenn ein Einzelstaat, auf 
sein weiteres Dasein verzichtend, sich in einen anderen Einzelstaat einver- 
leiben läßt. Als das bis 1876 mit Preußen in Personalunion stehende 
Herzogtum Lauenburg, durch preuß. Ges. v. 23. Juni 1876 mit Preußen ver- 
einigt wurde, ist die Erlaubnis des Reiches nicht für nötig erachtet worden, 
wie es auch nicht in der Absicht zu liegen scheint, diese Erlaubnis einzu- 
holen zu der (Zeitungsnachrichten zufolge) bevorstehenden Fusion der beiden, 
z, 4. real unierten Fürstentümer Schwarzburg (vgl. Francke, ArchÜffR 85 462). 
Übereinstimmend in der Grundanschauung Laband, StR 1 130 ff.; Anschütz, 
Enzykl. 80, 81 Anm. 1. 
Darüber, welche Rückwirkungen die Verschmelzung zweier Einzelstaaten 
oder die Vereinigung eines Einzelstaates mit einem anderen auf die Reichs- 
verfassung, insbesondere auf die Stimmenverteilung im Bundesrate, äußert, 
können die beteiligten Einzelstaaten nichts bestimmen, denn es steht insoweit 
nicht ihr Recht, sondern das Recht des Reiches in Frage. Die Entscheidung 
hierüber ist zunächst Sache des Bundesrats, welcher — vorbehaltlich der 
eudgültigen Ordnung der Angelegenheit durch ein verfassungänderndes 
Reichsgesetz — zu beschließen haben würde, ob die Stimme des durch Fusion 
oder Inkorporation untergegangenen Staates als erloschen zu behandeln oder 
dem inkorporierenden Staate zugewachsen ist. Vgl. Schulze, deutsch. StR 2 
8ff.; Anschütz, Enzykl 80, 81 Anm.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.