710 Zweiter Teil. Drittes Buch. $ 165.
als Gegenstände der Gesetzgebung angesehen; das zum Erlaß der
Verordnung berechtigte Organ besitzt nur die Befugnis, provi-
sorische Anordnungen zu treffen. Dagegen haben die Verordnungen
nicht den Charakter von Notverordnungen, d. h. der Erlaß der-
selben ist nicht durch das Vorhandensein eines Notstandes bedingt.
Versagt der Reichstag die Genehmigung, so verlieren die Ver-
ordnungen ihre verbindliche Kraft. Sie treten entweder mit der
Versagung von selbst außer Kraft 1% oder dasjenige Organ, welches
sie erlassen hat, ist verpflichtet, sie außer Kraft zu setzen ®®,
Erteilt der Reichstag dagegen die Genehmigung, so haben sie eine
der formellen Gesetzeskraft in der Wirkung gleichstehende Geltung
erlangt und können fernerhin nur im Wege der Gesetzgebung
wieder aufgehoben oder abgeändert werden ®t,
b) Eine zweite Gruppe der Verordnungen bilden diejenigen,
welche dem Reichstage lediglich zur Kenntnisnahme vor-
zulegen sind, hinsichtlich deren der Reichstag aber die Befugnis
besitzt, ihre Außerkraftsetzung zu verlangen®® Die
Gegenstände, auf welche sich diese Verordnungen beziehen, werden
grundsätzlich als Gegenstände des Verordnungsrechts behandelt;
die Verordnungen enthalten keine provisorischen, sondern definitive
Anordnungen. Ein Beschluß des Reichstages über dieselben ist
gar nicht erforderlich; der Reichstag besitzt nur die Befugnis, sich
mit denselben zu beschäftigen und von dem die Verordnung er-
lassenden Organ zu fordern, daß es dieselben wieder außer Kraft
hinaus erstreckt, die Revision begründet (EG zur ZPO $ 6); Anordnungen
des Bundesrates oder des Reichskanzlers, durch welche gewisse Gegenstände
und Leistungen zeitweilig vom Gewerbebetrieb im Umherziehen ausge-
schlossen werden (RGewO $ 56b); kaiserliche Verordnungen, durch welche
fremden Staaten gegenüber als Retorsionsmaßregel Zuschlagszölle eingeführt
werden (Zolltarifgesetz vom 25. Dez. 1902, $ 10) und kaiserliche Verordnungen,
durch welche die Italien und Spanien zugestandenen Zollermäßigungen auf
andere Staaten ausgedehnt werden (RG vom 10, Sept. 1883 8 2),
19 Dies ist in allen denjenigen Fällen, für welche anderweite Bestim-
mungen nicht gegeben sind, anzunehmen; ausdrücklich ausgesprochen ist es
im EG zur ZPO 8 6.
20 RGewO $ 56b, Zolltarifgesetz vom 25. Dez. 1902 $ 10, RG vom
10. Sept. 1883 8 2. ,
#1 Ausdrücklich ausgesprochen ist dieser Grundsatz in dem EG zur ZPO
86; er gilt aber, weil er sich aus der Natur der betreffenden Verordnungen
und der staatsrechtlichen Bedeutung der Genehmigung des Reichstages er-
ibt, auch ohne positive Festsetzungen. Vgl. die Verhandlungen in der
eichstagssitzung vom 1. Sept. 1883 (Sten. Ber. 127 ff.)
#2 Verordnungen des Bundesrates über die Art der Beschäftigung vou
Arbeitern in gewissen Fabrikationszweigen (RGewO $& 139a.), kaiserliche
Verordnungen auf Grund des Nahrungsmittelgesetzes (RG vom 14. Mai 1879
7), Verordnungen des Bundesrates über die Verwendung von Surrogaten
ei der Tabaksfabrikation (RG., betr. die Besteuerung des Tabaks, vom
16. Juni 1879 8 27), Verordnungen des Bundesrates über Ausdehnung der
Zuckersteuer auf Abläufe von der Zuckerfabrikation und über Außerkraft-
setzung und Ermäßigung der Ausfuhrzuschüsse für Zucker (Zuckersteuer-
gesetz vom 28. Mai 1896 85 2, 79).