Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Die Funktionen. $ 168. 717 
durch Akte der Reichsgesetzgebung das innerhalb eines Landes 
bestehende Gewohnheitsrecht, etwaige statutarische Vorschriften, 
sowie Verträge unter den einzelnen Bundesstaaten beseitigt®. 
Auch kann ein älteres Landesgesetz nicht etwa wegen seines 
Charakters als Spezialgesetz gegenüber einem späteren Beichs- 
gesetz fortdauernde Geltung beanspruchen ?. 
8 168. 
Ein anderes Verhältnis als zwischen Reichsgesetzgebung und 
Gesetzgebung der Einzelstaaten besteht zwischen Reichs- und 
Landesgesetzgebung in Elsaß-Lothringen. 
[Die elsaß-lothringischen Landesgesetze sind Landes- 
gesetze in dem einen Sinne, daß sich ihre Wirksamkeit auf 
den Umfang des Landes beschränkt, und in dem andern, daß 
sie Angelegenheiten regeln, welche, wenn Elsaß-Lothringen ein 
„Land“ in der staatsrechtlichen Bedeutung dieses Wortes, d. h. 
ein Einzelstaat des Reiches wäre, in den Zuständigkeitsbereich 
der Gesetzgebung dieses Einzelstaates fallen würden.] Ihrer 
Entstehung nach erscheinen sie als Reichsgesetze, ob- 
gleich ihr Erlaß unter Beteiligung des Landtages erfolgt. Gesetz- 
geber ist das Reich, welches seine Befugnisse durch den Kaiser 
unter Zustimmung des Landtages ausübt!, 
Vor Einführung der Reichsverfassung war eine Kollision 
zwischen Reichs- und Landesgesetzgebung nicht möglich, da die 
ganze Gesetzgebungsgewalt in den Händen von Kaiser und 
Dies ist vollkommen haltlos und willkürlich, findet auch in der 
Praxis der Reichsgesetzgebung nicht den geringsten Anhalt, Vgl. auch 
Bornhak, DJZ 11 725. 
8 v. Rönne, StRDR a.a.0. 6; Riedel zu Art. 2Nr.V; Boydel zu Art. 2 
Nr. II; Hiersemenzel zu Art. 2 Nr. I 1; Laband, StR 2 115. Auch die 
Bildung partikulären Gewohnheitsrechts gegenüber einem Reichsgesetz ist 
ausgeschlossen. Anderer Ansicht: Haenel, StR 1250; Bornhak, im VerwArch 
85. In der zivilrechtlichen Literatur wird diese Ansicht insbesondere, von 
Cosack, Lehrbuch des deutschen bürgerlichen Rechts 1$ 10 vertreten. Über- 
einstimmend: Zorn, StR 1 424 N.49; Gierke, DPrivR 1 184 Nr. 6; Endemann, 
Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 8. Aufl, 18 9 N. 17; Posener, a. a. O. 
57 ff.; Anschütz, Enzykl. 160. 
® Dies behauptet Hiersemenzel, a. a. O. im Hinblick auf den Grund- 
satz: “„lex posterior generalis non derogat legi priori speciali.“ Aber dieser 
Satz, der ü erhaupt keine durchgreifende Geltung besitzt, sondern lediglich 
eine Präsumtion hinsichtlich der Absicht des Gesetzgebers ausspricht, kann 
jedenfalls nur in bezug auf solche Vorschriften, welche einander gleich- 
wertig sind, dagegen nicht bei einer höheren Gattung von Gesetzen gegen- 
über einer niederen zur Anwendung gebracht werden. Vielmehr muß, wenn 
bei Regelung eineg G&&enstandes durch die Reichsgesetzgebung ältere 
Spezialbestimmungen des Landesrechtes aufrecht erhalten werden sollen, dies 
ausdrücklich im Reichsgesetze ausgesprochen sein. Dem entspricht auch 
die Praxis der Reichsgesetzgebung. . 
I Anschütz, Enzykl. 161; Fischbach, Öffentliches Recht des Reichs- 
landes 252 („Provinzialgesetze des Reichs für Elisaß-Lothringen*), 
G. Meyer-Anschütz, Deutsches Staatarecht. II. 7. Aufl. 46
	        
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