Die Funktionen. $ 170. 725
1. die streitige Gerichtsbarkeit, d. h. der Inbegriff
derjenigen Tätigkeiten, welche ihrem materiellen Gehalte nach
den Charakter richterlicher Funktionen besitzen. Die
streitige Gerichtsbarkeit scheidet sich in:
a) die Zivilrechtspflege, deren Gegenstand die Wieder-
herstellung des durch Privatpersonen gestörten individuellen Rechts-
kreises ist,
b) die Strafrechtspflege, welche die Bestrafung des
schuldigen Verbrechers bei Störung der öffentlichen Rechtsordnung
bezweckt.
In der Ausübung der streitigen Gerichtsbarkeit ist eine zwei-
fache Funktion enthalten: die Feststellung des in Frage stehen-
den Rechtsverhältnisses durch die logische Subsumtion des einzelnen
Falles unter die allgemeine Regel (Gesetz, Giewohnheitsrecht) und
die Verwirklichun 8 desselben durch die Mittel staatlicher
Herrschaftsmacht. Die Anwendung staatlichen Zwanges ist ein
wesentliches, wenn auch nicht das ausschlaggebende Merkmal
dieser Art von Gerichtsbarkeit*;
2. die freiwillige (nichtstreitige) Gerichtsbarkeit,
d. h. der Inbegriff solcher Tätigkeiten, welche als Ausfluß der
Fürsorge des Staates für. die Privatrechtsverhältnisse seiner An-
gehörigen erscheinen®. Diese haben ihrem materiellen Gehalte
nach nicht den Charakter von richterlichen Funktionen,
sondern von Verwaltungshandlungen. Sie bestehen teils
in einer Mitwirkung bei Begründung von Privatrechtsverhältnissen,
teils in einer Beur undung derselben, teils in der Aufsicht über
Personen, welche fremdes Vermögen verwalten, teils in der Ver-
wahrung von Urkunden und Wertgegenständen. Die bei Aus-
übung derselben maßgebenden Grundsätze sind in einer Reihe
einzelner Gesetze zerstreut; überhaupt bietet die freiwillige Gerichts-
barkeit mehr privatrechtliches als staatsrechtliches Interesse dar,
so daß eine ausführliche Behandlung derselben an dieser Stelle
nicht notwendig erscheint. Ä
Die nachfolgende Darstellung wird sich daher auf eine Ent-
wicklung der für die streitige Gerichtsbarkeit maßgebenden staats-
rechtlichen Rechtssätze beschränken.
* Im Gegensatz zu dieser Auffassung behauptet A. S. Schulze, Privat-
recht und Prozeß in ihrer Wechselbesiehung (1883) 1 582, daß der Befehl
stets im Gesetz enthalten, das Urteil dagegen lediglich ein Akt der Fest-
stellung sei. Diese Auffassung verkennt den Unterschied zwischen dem
allgemeinen Befehl im Gesetze und dem speziellen Befehl im Urteil, der
eine Anwendung des allgemeinen Befehls auf einen konkreten Fall enthält.
Vgl. auch Laband, Staatsrecht 8 3975 und Anm. 3; Wach, Handbuch des
deutschen ‘Zivilprozeßrechtes 1 13 ff.
s Zum Begriff der freiwill. Gerichtsbarkeit: Hellwig, System des deut-
schen Zivilprozeßrechts 1 54 ff.
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