Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

130 Zweiter Teil. Drittes Buch. $ 171. 
Reichsgericht seinen Sitz hat, also dem Königreich Sachsen 
nicht zu®!, 
Die nach den Bestimmungen des Reichsgerichtsverfassungs- 
gesetzes zur Kompetenz der ordentlichen Gerichte gehörenden 
Rechtssachen werden als ordentlichestreitigeRechts- 
sachen, die Befugnis, dieselben zu entscheiden, wird als ordent- 
liche streitige Gerichtsbarkeit bezeichnet. Die für die 
Ausübung dieser ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit maßgeben- 
den Grundsätze sind durch die Reichsjustizgesetze (Gerichts- 
verfassungsgesetz, Zivilprozeßordnung, Strafprozeßordnung) fest- 
gesetzt worden. Den ordentlichen Gerichten dürfen aber neben der 
ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit noch andere Befugnisse 
übertragen werden. Eine solche Übertragung kann nicht nur, 
selbstverständlich, im Wege der Reichsgesetzgebung, sondern auch 
auf dem der Landesgesetzgebung geschehen. Durch die Reichs- 
gesetzgebung kann eine solche Übertragung in unbeschränkter 
Weise stattfinden, da dieselbe in der Lage ist, die Vorschriften 
des Reichsgerichtsverfassungsgesetzes, auf welchem die jetzige 
Kompetenz beruht, abzuändern. Durch die Reichsgesetzgebung 
kann die Übertragung ferner sowohl gegenüber den Landesgerichten 
als gegenüber dem Reichsgericht erfolgen®®, Die Landesgesetz- 
gebung ist dagegen nur berechtigt, derartige Übertragungen gegen- 
über den Landesgerichten auszusprechen, und unterliegt auch in 
dieser Beziehung reichsgesetzlichen Beschränkungen. Die Über- 
tragung kann nämlich umfassen: 1. jede Art von Gerichtsbarkeit, 
insbesondere: a) diejenige bürgerliche und Strafgerichtsbarkeit, 
für welche reichsgesetzlich besondere Gerichte zugelassen sind, 
sı RG über den Sitz des Reichsgerichtes vom 11. April 1877 8 1. 
32 Dem Reichsgerichte sind bereits durch eine Reihe reichsgesetzlicher 
Bestimmungen verschiedene Geschäfte übertragen worden, welche dem Be- 
reiche der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit nicht angehören, nament- 
lich die Entscheidung von Berufungen gegen das Reichspatentamt (RPatent- 
esetz vom 7. April 1891 8 33), die Entscheidung der Vorfrage über die Ver- 
etzung der Amtspflicht bei Verfolgung von Beamten (EG zum RGVG $ 11 
die Entscheidung der Kompetenzkonflikte in der Freien Stadt Bremen (E 
zum RGVG s 17, Kais. V. vom 26. Sept. 1879), die Entscheidung von 
Streitigkeiten zwischen Senat und Bürgerschaft der Freien Stadt Hamburg 
(RG. vom 14, März 1881), der Erlaß letztinstanzlicher Erkenntnisse in Ab- 
ösungs- und Auseinandersetzungssachen in Preußen und denjenigen Staaten, 
wo die betreffenden Funktionen von preußischen Behörden wahrgenommen 
werden (EG zum RGVG 83, Kais. V. vom 26. Sept. 1879), die Entscheidung 
der Rechtsmittel der Revision und Beschwerde bei Streitigkeiten gan 
den Landesherrn und seine Familie in Preußen, Hessen und Waldeck (EG 
zum RGVG $ 8, Kais. V. vom 26. Sept. 1879). — In Konsequenz seiner all- 
emeinen Anschauungen über die Abgrenzung der Kompetenzsphäre zwischen 
Reich und Einzelstaaten behauptet Haenel, Staatsr. 1 745 ff., 755, ver- 
fassungsmäßig sei die Gerichtsbarkeit des Reiches darauf beschränkt, 
die Einbeitlichkeit des gemeinen Privat-, Straf- und Prozeßrechtes in der 
durch die Einzelstaaten zu vollziehenden Rechtspflege aufrecht zu erhalten. 
Jede Erweiterung der Befugnisse des Reichsgerichtes enthalte also eine 
Verfassungsänderung. Die a Igemeine Grundlage dieser Ansicht hat bereits 
an anderer Stelle ihre Behandlung gefunden (vgl. $ 80 8. 262 N, 11).
	        
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