Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Die Funktionen. $ 172. 733 
8. Gemeindegerichte zur Entscheidung über vermögensrechtliche 
Ansprüche, welche den Betrag von sechzig Mark nicht übersteigen, 
unter Vorbehalt des ordentlichen Rechtsweges*. Für das Ver- 
fahren in diesen Gerichten sind nicht die Vorschriften der Reichs- 
justizgesetze, sondern die der betreffenden Landesgesetze maß- 
Bebend *#, Zu den besonderen Gerichten gehören ferner die durch 
rtsstatut oder Anordnung der Landeszentralbehörde zu errichten- 
den Gewerbegerichte und Kaufmannsgerichte **. — Außerdem sind 
als spezielle, von den ordentlichen Gerichten abweichende Ge- 
staltungen die besonderen, auf Haus- oder Landesgesetzen be- 
ruhenden Gerichte für die Mitglieder der landesherrlichen Familien 
und des fürstlichen Hauses Hohenzollern, sowie die den Standes- 
herren landesgesetzlich gewährten Austräge in Strafsachen vor- 
behalten worden *, 
8. Austibung der Justiz durch die Gerichte. 
& 172. 
Im Mittelalter fand eine scharfe Sonderung zwischen den 
Funktionen der Gerichtsgewalt oder Gerichtsherrlich- 
keit und denen der Rechtsprechung oder Urteilsfindung 
statt. Erstere.umfaßte das Recht, für die Abhaltung und Besetzung 
der Gerichte zu sorgen, den Vorsitz in denselben und die Aus- 
übung des prozessualischen Zwanges, insbesondere die Vollstreckung 
der Urteile; sie stand dem Könige bzw. den Landesherren zu, 
und die in ihr enthaltenen Befugnisse wurden entweder von dem 
Gerichtsherrn persönlich oder von dessen Beamten ausgeübt. 
Letztere dagegen war Sache des Volkes, die Ausübung derselben 
erfolgte entweder durch die gesamte Gerichtsgemeinde oder durch 
die Schöffen. 
Mit dem Untergange der Schöffenverfassung ging auch die 
Funktion der Rechtsprechung auf den Gerichtsherrn und dessen 
Beamte über. Gleichzeitig machte sich aber das Bestreben geltend, 
jeden persönlichen Einfluß des Gerichtsherrn auf die Entscheidung 
der Rechtsstreitigkeiten auszuschließen und diese unabhängigen 
Behörden zu übertragen!. Die Unabhängigkeit der Reichsgerichte 
von der Einwirkung des Kaisers wurde schon im sechzehnten 
Jahrhundert von der Reichsgesetzgebung wiederholt anerkannt ®. 
  
“ RGVG $ 14 Nr. 3. 
#5 EG zur RCPrO S$ 3, zur RStrPrO $ 3. 
46 RG, betr. die Gewerbegerichte, vom 29. September 1901. RG, betr, 
Kaufmannsgerichte vom 6. Juli 1904. Vgl. oben $ 118a, Nr. 14, 15. 
41 EG zur RGVG 88 5 u. 7. Vgl. Loening, Die Autonomie der standes- 
herrlichen Häuser Deutschlands (Denkschrift, verfaßt im Auftrage des 
Vereins der deutschen Standesherren), 1905, S. 149, 150. 
ı Siegel, Zur Entwicklung der Unabhängigkeit der Rechtsprechung, 
in den AnnDR 1894 221 ff. 
2 RA zu Augsburg von 1510 $ 14, KGO von 1521 Tit. 27, RA zu Augs- 
burg von 1548 8 24, Rco von 1555 Einl, 8 2 T. II Tit. 85, JRA 8 166, 
WK Art. 16 88 7 u.8, Art. 1781.