Die Funktionen. 3 173, 139
gewahrt sind. Wenn dies schon für Verordnungen vorgeschrieben
ist, so muß das gleiche um so mehr zugunsten der Gesetze
gelten, denn die Verfassung kann nicht wollen, daß das Gesetz,
der Ausdruck eines jeder Verordnungsgewalt, auch der des Königs,
übergeordneten Willens, der richterlichen Kritik und Kontrolle
in höherem Grade ausgesetzt sein soll als die Verordnung. Auch
bei Gesetzen erstreckt sich somit in Preußen die richterliche Prü-
fung nur auf die Publikation, jedes weitergehende Prüfungsrecht
bezüglich des verfassuugsmäßigen Zustandekommens ist aus-
geschlossen ®.
Il. In den anderen deutschen Einzelstaaten und im Reichs-
recht ist über die Prüfungskompetenz nichts ausdrücklich be-
stimmt. Infolgedessen gelten allgemeine Grundsätze.
Es ist zu unterscheiden zwischen Gesetzen und Verordnungen.
A. Bezüglich der Gesetze weist die, wie obenf bemerkt,
früher herrschende, auch in den früheren Auflagen dieses Lehr-
buchsg vertretene, in neuerer Zeit aber mehr und mehr zurück-
gedrängte Meinung dem Richter die Aufgabe zu, nicht nur — was
ihm nicmals bestritten wurde und auch gegenwärtig von keiner
Seite bestritten wird — die Tatsache der vorschriftsmäßigen Ver-
kündigung, sondern auch die Vorschriftsmäßigkeit der weiter
zurückliegenden Stadien des Gesetzgebungsverfahrens (oben $8 158,
163), m. a. W. überhaupt das verfassungsmäßige Zustandekommen
der Gesetze zu prüfen und Gesetzen, die solcher Prüfung nicht
standhalten, die Anwendung zu versagen, während einige Schrift-
steller, hierüber noch hinausgehend, die richterliche Prüfung auch
darauf erstrecken wollen, ob ein formell verfassungsgemäß zu-
standegekommenes Gesetz materiell, seinem Inhalte nach, mit der
Verfassung im Einklang stehthi,. Die Begründung einer so weit-
Preuß. StR 8 175; Bornhak,- Preuß. StR. 1 555. Ebenso unzutreffend ist die
Behauptung von Bartolomäus im ArchÖfft 13 597, daß die Gerichte nicht
zu den Beliöiden im Sinne des Art. 106 der Verf. zu zählen seien. Auch
durch %3 1 «es RGVG ist das beschränkte Prüfungsrecht der Richter in
Preußen und anderen Staaten nicht aufgehoben. Dieser unterwirft die
Richter allerdings nur der Autorität des Gesetzes. Aber zu den Gesetzen,
welchen sie unterworfen sind, gehören auch die Vorschriften der N, a er-
wähnten einzelstaatlichen Verfassungen, welche den gehörig publizierten
Verordnungen die Kraft von Gesetzen beilegen,
8 Dies hebt mt Itecht E. A, Chr. a. a. O. hervor. Doch folgt daraus
nicht, daß die Verfassung die (ivsetzgebungsgewalt des Königs so un-
beschränkt gelassen habe, wie sie vor 1848 war, oder daß der König die
Verfassung durch bloße Verordnungen rechtsgültig abändern könne, wie
derselbe Schriftste.ler (S. 182, 192) behauptet. Vgl. John und Smenda 2,0.
Dagegen findet sıch für die Behauptung Johns, daß das Votum einer Kammer
genüze, um eine königliche Veroıdnung für rechteungältig zu erklären, ebenso-
wenig ein Anhalt in der preußischen Verfassung. Richtig Arndt, Komm. zu
Art. 106 N. 9.
f Oben S 737 Anm. 5.
B Vorauflage 8 173 S. 632 ff.
Ein solches Prüfungsrecht besteht, und zwar unangefochten, in den
Vereinigten Staaten von Amerika. Aber dort findet es im besonderen, von
G. Meyer-Anschütz, Doutsches Staatsrecht. III. 7. Aufl. 48